Börsenstimmung: Prognosen werden schwieriger als die Wettervorhersage

20.05.17

Es liegt nahe, die aktuelle Börsenentwicklung mit dem Wetter zu vergleichen. Denn Kursrückschläge empfinden die meisten Privatanleger als unangenehm – wie den Regen. In beiden Fällen kommt es aber auch auf die übrigen Umstände an. Momentan gibt es gute Gründe, sich über Niederschläge zu freuen (die Natur atmet auf). Aber wie geht es weiter? Ältere unter Ihnen, geschätzte Leser, werden sich daran erinnern, dass die Wettervorhersage früher so etwas wie ein Synonym für Unzuverlässigkeit war. Das hat sich längst geändert. Andererseits werden Börsenprognosen im Zeitalter globaler, vernetzter Märkte immer schwieriger. Das belegen gerade jetzt wieder die Aktienmarktanalysen. Hauptunsicherheitsfaktor bleiben die unberechenbaren politischen Einflüsse.



„Regenschauer sind noch keine Sintflut“, konnte man jetzt im Bericht eines Charttechnikers lesen. Gewiss. Dabei ist zu berücksichtigen, wie lange und intensiv die Niederschläge sind. Die Börse braucht nach langen Phasen eines Aufwärtstrends immer wieder auch Pausen der Gewinnmitnahmen. Märkte müssen auf ihrem Weg auch verschnaufen und sich gegebenenfalls neu orientieren können. Das ist bisher nicht der Fall gewesen, denn ein paar hundert Punkte Dax-Korrektur klingen zwar in den Medien schon dramatisch, doch muss sie in Bezug zum Ausgangsniveau gesetzt werden. Nein, das war bisher allenfalls ein Hauch von Konsolidierungsphase.


Der Auslöser für die schwächeren Tage war schnell gefunden: Donald Trump, wer sonst. Dabei hat die Wall Street nur auf einen Anlass für diese Korrektur gewartet. Zu lange (fast sieben Monate) kannte der S&P nur eine Richtung. Weiß Hans-Jörg Naumer, der Chef-Stratege von Allianz Global Investors: „Historisch gesehen aber zieht sich der US-Leitindex alle zwei bis drei Monate um etwa 5 Prozent zurück. Der jüngste Einbruch war also nur eine Frage der Zeit.“ Aber selbst Naumer stellt die (völlig offene) Frage, wie lange die Politaffäre um Trump seine Regierung und den Kongress lähmen wird. Denn mit jedem Tag werden eine schnelle Steuerreform und die versprochenen Infrastrukturinvestitionen unwahrscheinlicher. Der Stratege wörtlich: „Scheitert Trump, müssen die Anleger ihre positiven Erwartungen noch ein wenig mehr zurechtstutzen.“ Ich meine: Vielleicht sogar mehr als nur ein wenig mehr.


Dass Politik an den Börsen auch eine andere Wirkung entfalten kann, lässt sich ausgerechnet in Europa beobachten, zuletzt nach der französischen Präsidentschaftswahl. Parallel dazu werden die Nachrichten zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auf unserer Seite des Atlantiks immer besser. Europas Einkaufsmanager sind im Vergleich zu ihren Kollegen im Rest der Welt so
optimistisch wie seit 20 Jahren nicht. Die Unsicherheit scheint verflogen, europäische Aktien sind auf einmal gefragt.


Dazu passen folgende Zahlen: Während Europas Aktienfonds 2016 noch Mittelabflüsse von 100 Milliarden Euro beklagten, konnten sie dieses Jahr netto bisher 14 Milliarden Euro zusätzliche Mittel einsammeln. Das liegt nicht nur an Macron. Die gute Stimmung spiegelt sich auch in den Büchern der meisten Unternehmen wider. Im ersten Quartal stiegen die Gewinne der Stoxx-600-Firmen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 23 Prozent, ihre Umsätze um 10 Prozent – und das auch noch in zehn von elf Sektoren. Zwei von drei Unternehmen haben die Gewinnprognosen der Analysten übertroffen. Das treibt natürlich die Erwartungen der Börse. Jetzt noch einmal zu überraschen, wird für die Stoxx-Unternehmen im Schnitt aber schwieriger.


Ob die Kapitalmärkte in Europa und der Welt jetzt weiterhin den Bullen reiten? Zumindest ist zu erwarten, dass die Bären noch nicht das Parkett übernehmen: Die Datenlage dürfte dies kaum hergeben und die Geopolitik, die noch vor wenigen Wochen im Rampenlicht stand, scheint wie aus dem Sichtfeld der Investoren geraten zu sein. Aber Vorsicht, liebe Anleger, gerade das kann sich minütlich ändern! Auch das Asset Management von Allianz Global Investors gibt sich längerfristig eher zurückhaltend: „Weiter nach vorne blickend sollte die Kombination aus niedriger Volatilität und erhöhten Bewertungen für Stirnrunzeln sorgen. Dies umso mehr, als die Relative-Stärke-Indikatoren für die großen Regionen an den Aktienmärkten eine überkaufte Lage anzeigen.“


Dass die Börse zunächst noch unverdrossen nach oben will, zeigte sich schon im späten Donnerstagshandel und erst recht gestern Vormittag. Das ändert nichts an der Erwartung, dass es über kurz oder lang zu einer Konsolidierung mit stärkeren Kurskorrekturen als bisher kommen dürfte. Für betont langfristige Anleger unter Ihnen sollten schwächere Phasen – wenn sich die Rahmenbedingungen dann nicht entscheidend verändern – günstige Zeitpunkte zum Nachkaufen sein. Das gilt nicht für Aktienfans, die monatlich in Sparpläne einzahlen und/oder ihre Portfolio-Basis mit BCDI-Instrumenten weiter aufbauen – diese Anleger sollten cool und kontinuierlich als Käufer im Markt bleiben.


Machen Sie also weiter mit – und machen Sie’s gut!