Anlagestrategie: Kursgewinne mitnehmen oder laufen lassen?

11.11.17

Ob man „alte Börsenweisheiten“ (etwa die von André Kostolany) wertschätzt oder nicht – es gibt einen Bereich, der immer wieder Anlass für kontroverse Diskussionen bietet: die Kursgewinne. Ausnahmsweise kennt man hierzu sogar zwei – und gegensätzlich klingende – Sprüche: Gewinne soll man laufen lassen / An Gewinnmitnahmen ist noch keiner gestorben. Genau das ist inzwischen wieder die Frage vieler Anleger geworden. Dazu sei betont, dass es letztlich nicht allein um die Beurteilung der Kurshöhe selbst geht. Zu berücksichtigen ist auch die individuelle Ausgangslage. Und das mindert zwangsläufig den Wert allgemeiner, öffentlicher Aussagen zum Umgang mit Kursgewinnen.




Auch die Verhaltensforscher an der Börse Frankfurt gehen in ihrer jüngsten Analyse auf diesen Komplex ein und sagen, die Erkenntnis, dass an Gewinnmitnahmen angeblich noch niemand gestorben ist, sei leider nur teilweise richtig. Natürlich möchten vor allem Börsianer dieses schöne Gefühl, den richtigen Riecher gehabt und gleichzeitig auch noch einen Gewinn eingefahren zu haben, möglichst häufig erleben. Und tatsächlich haben viele finanzwissenschaftliche Studien ergeben, dass aus diesem Grunde Gewinne oft viel zu früh realisiert werden. Ein Umstand, der – sofern man gleichzeitig Verluste unkontrolliert laufen lässt – vor allem für eine langfristige Performance ungesund ist. Wörtlich heißt es: „So haben wir uns während der vergangenen Wochen oftmals gefragt, warum die von uns befragten bullischen Investoren angesichts maßvoller, aber dennoch substantieller Gewinne des Dax dieselben nicht realisiert haben. Möglicherweise, weil die Engagements zwar profitabel, aber dennoch nicht hoch genug waren.“


Interessant dann die aktuelle Feststellung: Diese Haltung hat sich jetzt, wie die Umfrage unter mittelfristig orientierten institutionellen Anlegern am vergangenen Mittwoch ergab, wohl deutlich geändert: Ohne dass äußerlich ein wichtiger Auslöser erkennbar war, ist es tatsächlich zu Gewinnmitnahmen gekommen, denn der Börse Frankfurt Sentiment-Index ist um 21 Punkte auf die neutrale Nulllinie zurückgefallen. Damit haben 12 Prozent aller Befragten ihre Meinung geändert, drei Viertel davon sind sogar direkt zu den Pessimisten abgewandert. Offensichtlich in der Absicht, während einer Korrektur der Aktienkurse die Performance etwas aufzubessern.


Meint Verhaltensökonom Joachim Goldberg: „Dies ist insofern bemerkenswert, als in unmittelbarer Zukunft keine offensichtlichen Ereignisrisiken drohen [… Ohnehin hat es den Anschein, als ob sowohl von der US-Notenbank als auch von der Europäischen Zentralbank kein Gegenwind für Aktienmärkte zu erwarten ist.“

Bei den zuvor wesentlich optimistischer gestimmten Privatanlegern, deren Sentiment sich zuletzt auf Jahreshoch befand, hat sich eine ähnliche Entwicklung ergeben. Auch von ihnen müssen einige ihre Gewinne realisiert haben, weshalb der Börse Frankfurt Sentiment-Index bei diesem Panel in ähnlicher Größenordnung wie bei den institutionellen Pendants um 19 Punkte auf einen Stand von +17 Punkte gefallen ist. Allerdings haben sich längst nicht so viele Privatanleger direkt auf die Bärenseite getraut, sondern sich etwa im Verhältnis 40 zu 60 erst einmal an die Seitenlinie begeben.


Aus Sicht der Frankfurter Beobachter ist die jüngste Stimmungsentwicklung für den Dax positiv zu bewerten. Denn trotz der Gewinnmitnahmen ist das Börsenbarometer stichtagsbezogen (Mittwoch) unverändert geblieben. Und auch gemessen am neuen Allzeithoch dieser Woche blieb die bisherige Rückwärtsbewegung mit rund 1 Prozent überschaubar. Bedenkt man, dass der Dax seit seinem letzten markanteren Tiefpunkt vom 29. August fast 14 Prozent an Wert gewonnen hat, ohne dass es dabei zu einem nennenswerten Rücksetzer gekommen ist, kann man die Neupositionierung gegen den Aufwärtstrend von einigen Akteuren durchaus als mutig bezeichnen. Goldberg: „Deshalb rechnen wir im Falle einer fortgesetzten Abwärtskorrektur schon bald mit der Rückkehr der Zweifler von heute in Form von Rückkäufen. Dies unterstützt den Dax genauso, als wenn er durch frische langfristige Nachfrage in neues historisches Terrain vordringen würde. Denn dann würden sich die Gewinnmitnahmen von heute doch noch als verfrüht darstellen und manchen Akteur vor das Dilemma stellen, wie man danach in einen derartigen Aufwärtstrend wieder in den Markt zurückfindet.“ Unter dem Strich also weiterhin eine stimmungstechnisch günstige, wenn nicht sogar verbesserte Situation für den Dax.


Spätestens am Donnerstag musste man aber doch zucken, denn erstmals fiel die Korrektur mit minus 1,5 bis 1,7 Prozent (nachbörslich) nun doch stärker aus. Und allein der Börsenauftakt auf gestrigen Freitag zeigt mir, dass inzwischen ein intensives Gerangel zwischen Bullen und Bären eingesetzt hat. Ich vertrete seit langem die Gewinne-soll-man-laufen-lassen-These. Seit Wochen aber auch das Gegenteil, denn: Wer über einen hohen Anteil an Aktien in seinem diversifizierten Portfolio verfügt und diese mehrheitlich einen satten Gewinn aufweisen, sollte vorsichtshalber zumindest einen Teil davon realisieren – also Gewinne mitnehmen. Wer dagegen erst seit kurzem dabei und ausgeprägt mutig ist, sollte nicht schon wieder aussteigen – also bescheidene Gewinne (soweit schon vorhanden) weiter laufen lassen.


Beides gilt nicht, das sei einmal mehr betont, für langfristige Aktienanlagen, insbesondere für Sparpläne. Denn hier dürfen sich die Anleger selbst von Baissephasen (= vor der nächsten Hausse) nicht beeindrucken lassen.


Machen Sie also weiter mit – und machen Sie’s gut