Anlegerverhalten: Interesse an Aktien muss langfristig wachsen

21.02.18

Die Zahl der Aktionäre und Besitzer von Aktienfonds ist 2017 deutlich gestiegen.
Danach besitzen jetzt rund 10 Millionen Bürger oder 15,7 Prozent der Bevölkerung Aktien oder Aktienfonds. Damit hat die Anzahl der Aktienanleger wieder denselben Stand wie vor der Finanzkrise erreicht. Das ist eine wirklich gute Nachricht, ein positives Signal für Anlegerkultur und Börsen in Deutschland. Trotzdem oder gerade deshalb verdient die neue Statistik des Deutschen Aktieninstituts (DAI) einen zweiten Blick, der weitere Erkenntnisse liefert.




Zunächst dämpft das DAI selbst: So erfreulich die Entwicklung im Jahr 2017 war, Entwarnung für die Aktienkultur bedeutet dies nicht. Denn erstens ist das Niveau im Vergleich zu anderen Industrienationen, in denen eine bessere Aktienakzeptanz vorherrscht, immer noch viel zu niedrig. Gleiches gilt für den Anteil von Aktien und Aktienfonds am Geldvermögen der Bevölkerung, der nach Daten der Deutschen Bundesbank mit 8,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr nur moderat gestiegen ist.

Zweitens haben die sehr gute Kursentwicklung sowie die extrem niedrigen Zinsen der vergangenen Jahre sicher zu einem wachsenden Interesse an der Aktie bei den Anlegern beigetragen. Entsprechend ist es zu früh, um zu beurteilen, ob der positive Trend auch bei einem Umfeld steigender Zinsen anhält. Denn die Anleger haben sich in der Vergangenheit häufig prozyklisch verhalten, indem sie der Kursentwicklung nachgelaufen sind und sich bei fallenden Kursen wieder von ihren Anlagen getrennt haben. Dieser Effekt scheint zwar seit der letzten Finanzkrise schwächer geworden zu sein, dennoch steht der Lackmustest einer längeren Phase fallender Kurse oder steigender Zinsen auf Alternativanlagen noch aus.

Drittens legte der Aktienbesitz zwar über fast alle Bevölkerungsschichten zu, doch lange nicht im gleichen Maße. Das Gros des Mehr an Aktionären und Aktienfondsbesitzern entfällt auf Menschen im Alter von über 50 Jahren bzw. Personen mit einem Nettohaushaltseinkommen von über 3.000 Euro im Monat.
Diese waren schon vorher vergleichsweise aktienaffin, so dass sich die demographischen Muster des Aktienbesitzes eher verstärkt haben.


Besonders interessant, weil von längerfristiger Aussagekraft, ist der Zusammenhang zwischen der Kursentwicklung und den Aktionärszahlen - der Zuwachs der Aktienbesitzer der letzten Jahre fiel ja in ein Umfeld steigender Kurse. Das wirft die Frage auf, so sieht es jedenfalls das DAI, ob Privatanleger letztlich nur der Kursentwicklung folgen und damit tendenziell zu teuer kaufen, um später zu billig zu verkaufen (meine Beobachtungen und Gespräche mit Privatanlegern kommen durchaus zu anderen Ergebnissen). Das DAI vergleicht das Verhalten der Privatanleger in den beiden großen Finanzmarktkrisen: So haben sich die Anleger nach dem Platzen der Blase am Neuen Markt im März 2000 tatsächlich weitgehend prozyklisch verhalten. Bis zum Kurstief im März 2003 haben sie sich in hohem Umfang bei fallenden Kursen von ihren Aktienbeständen getrennt. Auch während des späteren Kursanstiegs der Jahre 2003 bis 2007 fanden weiterhin überwiegend Verkäufe statt. Erst kurz vor dem Ausbruch der Finanzkrise 2007 waren erste Zukäufe zu verzeichnen. Gute Einstiegsmöglichkeiten während der Phase niedriger Dax-Stände in den Jahren 2002 bis 2004 wurden dagegen verpasst. Parallel zu der fallenden Anzahl von Aktienbesitzern kam es damit über den gesamten Zeitraum des Kurszyklus von Anfang 2000 bis Mitte 2007 zu Abflüssen aus der Direktanlage in Aktien in Höhe von rund 50 Mrd. Euro.


Im Verlauf der globalen Finanzmarktkrise nach 2008 war das Verhalten dagegen deutlich weniger prozyklisch, denn bereits kurz nach dem Fall von Lehman Brothers im September 2008 kauften die Privatanleger wieder zusätzliche Aktien. Diese Zukäufe setzten sich bis ins Jahr 2011 – also bis in die Mitte der europäischen Staatsschuldenkrise – fort. Rückblickend betrachtet haben die Anleger hier folglich ein besseres Timing bewiesen und sich insbesondere bei fallenden Kursen nicht prozyklisch verhalten.


Aber: Ein perfektes Timing stellt nicht nur den professionellen Investor vor große Herausforderungen. Es überfordert erst recht viele Privatanleger, die regelmäßig nicht über die Zeit und Expertise für eine fundierte Aktienanalyse verfügen. Man kann das Aktieninstitut deshalb bei seiner Empfehlung unterstützen, Privatanleger sollten sich nicht zu viel mit dem idealen Einstiegszeitpunkt beschäftigen. Wichtiger ist vielmehr ein langfristiges Aktieninvestment mit kontinuierlichen, monatlichen Sparraten. Dies ist zum Beispiel mit Aktien- oder Aktienfondssparplänen einfach zu realisieren.


Wie immer man das kurzfristige Verhalten privater Anleger beurteilt – die deutschen “Falschsparer“ lernen endlich dazu. Die Aktienkultur, die bis zum Kollaps des Neuen Markts schon auf gutem Weg war, muss sich jetzt langfristig entwickeln. Deshalb dürfen die Aktienförderer auf allen Ebenen nicht nachlassen. Im Vordergrund steht das betont langfristige Investment. Mit zunehmendem Know-how kommen aber auch die kurz- bis mittelfristigen Möglichkeiten für einen größeren Kreis von Privatanlegern in Frage – nicht zuletzt durch den Einsatz unterschiedlicher Instrumente von ETFs bis hin zu Derivaten und Zertifikaten sowie durch das ganz kurzfristige Trading.


Machen Sie also weiter mit – und machen Sie’s gut!