Aktienmärkte sind nie „oben“ – Bewertung heute viel günstiger als bei früheren Hochs

Von DANIEL ZINDSTEIN

Wangen im Allgäu, 31. März 2015 – Rund um die Welt haben im März viele wichtige Aktien-Indizes erneut langjährig gültige Hochs oder sogar Allzeit-Hochs erreicht und konsolidieren nun an diesen Marken. Der deutsche Kurs-Dax (ohne Dividenden) erreichte am 16. März dieses Jahres exakt sein Hoch vom März 2000 bei 6.266 Punkten. Der englische Leitindex FTSE konsolidiert nun scho
n seit Jahren knapp unter 7.000 Punkten und der breiteste und größte europäische Index Stoxx 600, stößt nun zum dritten Mal nach 2000 und 2007 an die Marke von 400 an. Aber auch der chinesische Shanghai Composite überwand sein langjähriges Hoch aus dem Jahre 2009 und macht sich nun Richtung Allzeithoch von 2007 auf, das allerdings noch 60 Prozent entfernt liegt. Im Nachbarland Japan hat der nach dem Platzen der Blase nun seit 25 Jahren konsolidierende japanische Nikkei-Index sein 2007-Zwischenhoch überwunden und macht sich daran, uralte Konsolidierungs-Hochs aus den Jahren 1999 und 1996 zu erreichen. Wobei das Allzeithoch von Ende 1989 noch aus heutiger Sicht phantastische 100 Prozent entfernt liegt. Abschließend, als prominentestes Beispiel sei noch der aus Internet-Blasen-Zeit berühmt berüchtigte amerikanische Nasdaq-Index genannt, der seine Blasen-Hochs aus dem Jahr 2000 wieder zurückerobert hat (rund 5000 Punkte). Für viele Beobachter wäre das vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen.

Sind wir nun im Aktienmarkt „oben“ angelangt? Spinnen nun wieder alle, wie im Jahr 2000? Handelt es sich um eine Blase? Diese Fragen werden in den Medien diskutiert und auch in vielen Gesprächen an uns herangetragen.

Bevor wir in die Details zu Bewertungen gehen, zunächst einmal eine grundsätzliche Feststellung: Aktienmärkte sind dynamisch und nicht statisch zu betrachten. Viele Anleger denken, dass sich Aktien immer nur in bestimmten Bandbreiten auf und ab bewegen und deshalb als Spiel oder Zockerei zu betrachten sind, mit denen höchstens professionelle Trader Erfolg haben können. Das tun sie nicht! Vor allem die in Indizes zusammengefassten Aktien großer Industrieländer sind ein Spiegelbild der Wirtschaft und wenn es sich um global tätige Unternehmen handelt, sogar ein Barometer für die Entwicklung der Weltwirtschaft. Das bedeutet im Umkehrschluss: Nur Unternehmen, die weiter wachsen und deren Geschäftsmodell sich im internationalen Wettbewerb bewährt hat, finden sich in Indizes wieder. Firmen, deren Produkte oder Dienstleistung nicht mehr gefragt sind und die Entwicklungen verschlafen haben, fallen aus den Indizes heraus und werden durch neue innovative und zukunftsorientierte ersetzt. Unter dem Strich befinden sich also immer die erfolgreichsten und größten Unternehmen in einem Index, so dass dieser – natürlich unter Schwankungen – langfristig immer weiter steigen muss.

Grundsätzlich ist es also immer sinnvoll, in Aktien zu investieren. Um zu erfahren, ob es gerade aktuell günstig oder teuer ist, sollte man nicht auf einen Index-Stand schauen, sondern ob Aktienmärkte im historischen Vergleich, aber auch im Vergleich zu alternativen Anlageformen günstig oder teuer erscheinen.

Die Unternehmen, die im deutschen Leitindex Dax gelistet sind, haben zum Beispiel im Jahr 2000, als der Index das erste Mal die 8.000 Punkte erreichte, in Indexpunkte umgerechnet (zum besseren Vergleich) rund 254 Punkte Gewinne erzielt. Die Unternehmen wurden also mit 31-fachen des aktuellen Jahresgewinns bewertet (8.000 geteilt durch 254). Aktuell gehen Analysten von einem Jahresgewinn der Dax-Unternehmen von 850 Index-Punkten aus. Das heißt, der Index wäre mit dem 14-fachen des Jahresgewinns bewertet (12.000 geteilt durch 850). Unzweifelhaft befanden wir uns im Jahr 2000 in einer Blase. Sollten entsprechende Blasen-Niveaus wieder erreicht werden, müsste der Dax also auf über 26.000 steigen – vorausgesetzt die Gewinne der Unternehmen bleiben konstant und steigen nicht an. Natürlich gilt dieser simple Zusammenhang nicht nur für deutsche Aktien. Der große US-Index S&P 500, in dem die 500 größten amerikanischen Unternehmen zusammengefasst sind, wurde im Jahr 2000 mit dem 27-fachen Jahresgewinn bewertet, heute jedoch nur mit dem 17-fachen.

Wie erwähnt werden Bewertungen von Aktien teurer, wenn die Kurse steigen, die Unternehmensgewinne jedoch stagnieren oder fallen. Das bedeutet: Ebenso wichtig wie der Blick auf die Kurse der Indizes, ist der Blick auf die Gewinnentwicklung. Und die sehen wir äußerst positiv. Wie schon häufiger beschrieben, werden insbesondere die Gewinne exportorientierter Unternehmen aus Europa, Japan und Südostasien (Rohstoff-importierende Länder) von vielen Faktoren getrieben, die es in diesem Gleichlauf nur sehr selten gab und die aus unserer Sicht noch bei Weitem nicht voll in den Gewinnschätzungen enthalten sind:

Schwächere Währungen im Vergleich zum US-Dollar erhöhen die Gewinnmargen und ermöglichen eine Ausweitung der Marktanteile, was mittelfristig zu mehr Umsatz führt. Günstigere Rohstoffpreise – allen voran Öl – führen zu bedeutend günstigeren Einkaufspreisen in der Industrie und im verarbeitenden Gewerbe. Ein wahrer Schub für die Gewinn-und-Verlust-Rechnung (GuV), wenn man bedenkt, dass in vielen Branchen Rohstoffpreise und Preise für Vorleistungsgüter den Großteil der Kosten ausmachen.

Das niedrige Zinsumfeld in Europa kommt mittlerweile auch bei Unternehmen in der europäischen Peripherie an. Darüber hinaus haben über zwanzig Notenbanken rund um den Globus im laufenden Jahr ihre Leitzinsen gesenkt. Geht man beispielhaft davon aus, dass das Unternehmenskapital zu 70 Prozent aus Fremdkapital besteht, sind halbierte Finanzierungskosten (Zinsen) ein wahrer Segen für die Kostenseite.

All diese Faktoren wirken jedoch nicht unmittelbar, sondern erst im Zeitablauf. Manche Luftfahrtgesellschaften sichern sich ihre Kerosinpreise bis zu zwei Jahre im Voraus. Dies gilt auch für Rohstoffeinkaufspreise in der Metallindustrie. Auch Zinsbindungen für Unternehmenskredite haben, wie bei jedem Häuslebauer, eine bestimmte Laufzeit, so dass erst nach deren Ablauf von einem günstigeren Zinsniveau profitiert werden kann. Das bedeutet, sollten Rohstoffpreise auf erniedrigtem Niveau verharren, der US-Dollar weiterhin stark und die Zinsen niedrig bleiben, wirken sich diese Parameter erst in den nächsten Monaten und Quartalen auf die Unternehmensgewinne positiv aus. Viel Phantasie also für Aktienkurse.

Unabhängig von historischen Bewertungsniveaus müssen Anleger sich fragen, wo es rentierliche Alternativanlagen gibt. In den wichtigsten westlichen Industrieländern herrscht ein historisches Niedrigzinsumfeld vor. In Deutschland bezahlt man bei einer Anlage in Bundesanleihen von 1 bis 7 Jahren Laufzeit Negativzinsen. Vertraut man dem Staat eine 10-jährige Anlage an, so bekommt man 0,19 Prozent Nominalrendite (Steuern, Transaktionskosten und Inflation müssen noch abgezogen werden). Da auch festverzinsliche Wertpapiere mitunter kräftig im Kurs schwanken, kauft man sich also ein zinsloses Risiko ein!

Viele flüchten daher in Immobilien. Aber auch diese sind zumindest in den attraktiveren Gegenden nicht gerade billig. So sind unter Idealvoraussetzungen (Vollvermietung, keine Mietausfälle, keine Zinserhöhungen, keine Arbeitskosten, etc.) meist nur Mietrenditen von unter drei Prozent erzielbar. Verglichen mit dem Aktienmarkt entspricht dies einer 33-fachen Bewertung des Jahresgewinns (so teuer wie der Dax im Jahre 2000).

Fazit: Vor allem institutionelle Anleger, wie Banken, Versicherungen, Pensionskassen, Stiftungen usw. kommen an der Aktienanlage sowie der Erhöhung der traditionell in Deutschland niedrigen Aktienquoten nicht herum Sie müssen Rendite erzielen. Privatanleger mögen sich mit einem Null-Zins-Niveau zufrieden geben, solange auch die Inflation niedrig bleibt. Die Lohnentwicklung, die Steigerung der Immobilien- und Mietpreise aber auch die aufgrund von Basiseffekten nicht dauerhaft deflationär wirkenden Rohstoffpreise, sprechen jedoch für mindestens moderat steigende Inflationsraten spätestens zum Ende dieses Jahres. Und welche Anlageklasse hat sich in moderat inflationärem Umfeld historisch betrachtet am besten entwickelt? Natürlich die Aktienanlage.

Gewiss bleiben auch Aktieninvestments nicht von Schwankungen verschont. Korrekturen nach starken Anstiegen sind jedoch vor allem in einem solch vorteilhaften Umfeld als Chancen und nicht als Risiken zu begreifen. Vor allem gilt es die Grundprinzipien jeder erfolgreichen (Aktien-) Anlage zu beachten: Breite internationale Streuung, langfristiger Anlagehorizont und – in heutiger Zeit wichtiger denn je – einen guten Vermögensverwalter oder Anlageberater des Vertrauens.
 
Daniel Zindstein ist Leiter
Portfoliomanagement des Vermögensverwalters
GECAM AG.