08.07.16
Beim Versuch (mehr
kann es ja nicht sein), die Börsenperspektiven nach dem Brexit-Votum
auszuloten, kam ich vor einer Woche zum Ergebnis „Die Märkte
werden sich so schnell nicht einpendeln“. Das ist alles andere als
attraktiv aus der Sicht der Anleger, aber nicht zu ändern. Und die
vergangenen Tage mit ihren Stimmungs- und Kursschwankungen haben es
bestätigt. Denn das Chaos – insbesondere in Großbritannien selbst
– ist mittlerweile konkret und nicht nur in seinen Konturen zu
erkennen. Dazu kommt, dass die noch nicht gelöste Bankenkrise in
anderen Ländern nicht nur durch Brexit, sondern beispielsweise auch
durch die Alarm-Meldungen aus Italien wieder für Schlagzeilen sorgt.
Beginnt jetzt der Crash auf Raten, wie es ein Blackrock-Stratege
befürchtet?
Bei diesem Satz
haben meine Schulter nervös gezuckt – niemand weiß nichts.
Vergessen Sie nicht, geschätzte Anleger, dass die politisch
Verantwortlichen heute (und wohl auch morgen) nicht wissen, wie es
mit Europa weiter geht. Noch ist nicht einmal sicher, dass es zum
Ausstieg der Briten überhaupt kommen wird. Also am besten abwarten
und Tee trinken, lautet die vorsichtige Empfehlung vieler Asset
Manager. Wir müssen einfach hinnehmen, dass es mit den täglichen
Veränderungen der Nachrichtenlage weiterhin zu unberechenbaren
Stimmungs- und Kursschwankungen kommen wird.
Das Ifo-Institut, um
eine (bisher noch) gelassene Stimme zu zitieren, verteilt aktuell
Beruhigungspillen. Das Brexit-Referendum werde der deutschen
Wirtschaft in diesem und im nächsten Jahr wahrscheinlich nur einen
kleinen Dämpfer versetzen. Und der würde den Aufschwung, in dem
sich die deutsche Wirtschaft seit nunmehr drei Jahren befindet, nicht
gefährden“, sagte Timo Wollmershäuser, kommissarischer Leiter des
ifo Zentrums für Konjunkturforschung und Befragungen. Er wandte sich
gegen Katastrophenszenarien, fügte einschränkend hinzu:
„Konjunkturforscher sollten vorsichtig sein mit allzu schnellen
Revisionen ihrer Prognosen. Wir haben keinerlei historische Erfahrung
mit einem Austritt aus der Europäischen Union. Selbst wenn alle
zukünftigen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Großbritannien
und der EU geklärt wären, fiele es dem Konjunkturforscher schwer,
Vorhersagen aus den heute gängigen empirischen Modellen abzuleiten.“
Unterschiedlich war
zuletzt die Stimmungslage unter den Anlegergruppen an der Frankfurter
Börse, wie aus dem wöchentlichen Sentiment-Report hervorgeht. Noch
in der Vorwoche hatte der Dax den Optimisten Recht gegeben. So waren
viele davon ausgegangen, dass der Abschlag von mehr als 10 Prozent,
den das Börsenbarometer unmittelbar nach dem Brexit-Votum vor knapp
zwei Wochen erleiden musste, als Tribut ausreichend gewesen sei. Auch
zeigten sich etliche fälschlicherweise davon überzeugt, dass die
Anleger sich bereits an den vom britischen Volk geäußerten
Austrittswunsch Großbritanniens aus der EU gewöhnt hätten. Schenkt
man den Kommentatoren Glauben, handelt es sich auch beim aktuellen
Kursgeschehen lediglich um "Brexit-Nachwehen". Dabei ist
die Aussetzung dreier britischer Immobilienfonds vom Handel nur eines
von mehreren Warnzeichen, die die Investoren zu größerer Vorsicht
mahnen sollten.
Aber die befragten
mittelfristig orientierten institutionellen Anleger haben ihre
Haltung kaum verändert. Zwar hat sich die Polarisierung zwischen
Bullen und Bären zuletzt etwas erhöht, aber der Börse Frankfurt
Sentiment-Index zeigt sogar einen marginalen Zuwachs von einem Zähler
auf einen Stand von nunmehr +21. Ganz anders die Privatanleger, die
sich in der Vorwoche noch ausgesprochen kauffreudig gezeigt hatten.
Wie erwartet haben die Teilnehmer dieses Panels dem Dax nicht allzu
lange die Treue gehalten. Denn der Börse Frankfurt Sentiment-Index
dieser Gruppe ist mit einem Verlust von 35 Punkten eingestürzt und
liegt bei einem Wert von +4 Punkten.
Die Räumung des
Bullenlagers um 22 Prozent aller Befragten dürfte in erster Linie
auf Gewinnmitnahmen zurückzuführen sein, die vorgenommen wurden,
als der Index während des Berichtszeitraums für einen Moment mehr
als 9.800 Zähler notierte. Während etwas mehr als die Hälfte
dieser ehemaligen Optimisten erst einmal der weiteren Entwicklung des
Dax von der Seitenlinie zusehen möchten, haben sich die anderen
Akteure gleichzeitig nach unten abgesichert. Damit bleibt die
deutliche Diskrepanz in der Einstellung von institutionellen und
privaten Anlegern erhalten.
Langfristiger Aufwärtstrend beim Dax noch nicht gefährdet
Jochen Appeltauer,
Chefredakteur des „boerse.de-Aktienbrief“, hält beim Blick auf
die Charts an seiner Zuversicht fest. In der soeben erschienenen
neuen Ausgabe schreibt er in seiner Marktanalyse, beim Dax sei ein
Rückschlag bis in den Bereich von 9.500 Punkten einzukalkulieren,
wobei die Brexit-Tiefs bei 9.226/9.268 ein zusätzliches
Sicherheitsnetz bilden. Erst bei einem Rutsch darunter stünde ein
Test der 9.000er-Marke bzw. des Februar-Tiefs bei 8.700 auf der
Agenda. Selbst wenn
dieses Szenario
eintreten sollte, wäre der langfristige Aufwärtstrend nicht
gefährdet.
Denn die untere
Begrenzung des seit 1982 gültigen Aufwärtstrendkanals verläuft bei
ca. 8.000 Punkten.
Vielmehr würde mit einer derartigen Übertreibung nach unten die
Basis für eine mächtige Doppeltief-Umkehrformation gelegt, worauf
eine entsprechend rasante Aufholjagd folgen dürfte.
Nachdem aber der Dax
per Saldo schon seit August praktisch auf der Stelle
getreten ist, könnte
sich das dabei aufgebaute Bewegungspotenzial schon vorher
auf der Oberseite
entladen, meint Appeltauer. Konkret: Wenn es dem deutschen Leitindex
gelingt, die 10.000-Punkte-Marke und die bei 10.060 Punkten
verlaufende 200-Tage-Linie zu knacken, wäre der Weg frei bis 10.500.
Hier steht dann noch die seit dem Allzeithoch vom April 2015 gültige
Abwärtstrendgerade als Hürde im Weg. Bei einem Sprung darüber
eröffnet sich sofort Platz bis 11.000. Und auf Sicht der kommenden
sechs Monate sollte sogar das 2015er-Allzeithoch bei 12.375 wieder
ins Visier rücken. Wenn das keine bullische Haltung ist! Ich halte
mich mit Indexprognosen weiter zurück.
Machen Sie also
weiter mit – und machen Sie’s gut!