Börsentage / Anlegermessen: Den „typischen Privatanleger“ gibt es nicht

19.04.17

Kennen Sie einen „typischen“ Privatanleger? Ich greife heute wieder eines meiner Lieblingsthemen auf und ziehe damit Bilanz der Börsentage und Anlegermessen im Winterhalbjahr 2016/17. Mit noch mehr Nachdruck als in der Vergangenheit möchte ich jedenfalls den Kopf schütteln. Denn der Selbstentscheider von heute ist ein ausgeprägtes Individuum. Nicht nur Ausgangslage und Zielsetzung seiner Kapitalanlage gehen immer weiter auseinander, auch die Nutzung der schier grenzenlosen Informations- und Handelsmöglichkeiten ist differenziert. Gleiches gilt für die Inanspruchnahme von Beratern. Ist dies eine besondere, eine wichtige Erkenntnis? Nun, sie relativiert zumindest die Bedeutung von Prognosen und Empfehlungen, wenn diese allzu pauschalen Charakter haben.



Blicken wir auf die vergangenen Monate zurück und ordnen Sie sich dann selbst ein, geschätzte Leser. Der schon lange erkennbare Trend zur Aktie setzt sich fort – was leider nur für die engagierten und wetterunabhängigen Besucher der Anlegerveranstaltungen gilt und (noch) nicht für die Masse der Falsch-Sparer. Zu schönes oder miserables Wetter halten nur die echten Fans von Kongresssälen und Messehallen nicht ab. Auffallend ist zudem der meist hohe Anteil der Generation 65 plus, wenngleich auf der zweitägigen „Invest“ in Stuttgart ungewöhnlich viele junge oder gar jugendliche Anleger beobachtet werden konnten.


Und der Wissensstand? Wer heutzutage private Anleger hinter vorgehaltener Hand noch als dumm bezeichnet, ist es selbst. Sie mögen häufig allzu gierig oder ängstlich erscheinen – was übrigens auch für manchen Profi gilt –, aber ihr Know-how ist umfangreicher und detaillierter als früher. Beeindruckt hat mich dabei auch der Mut zur eigenen Meinung – geschult durch Erfahrungen. Strich drunter: Privatanleger, hier einmal alle in einem Topf, wollen mehr denn je überzeugt und nicht etwa überredet werden. Wer dies als Informant oder Berater nicht hinreichend honoriert, tut sich bei der Kundensuche schwer.


Die Ausgangssituationen privater Aktienanleger gehen extrem weit auseinander. Ich behaupte, dass schon das verfügbare Kapital oft unterschätzt wird. Übrigens sind Besucher solcher Events in aller Regel erstaunlich bereit, über ihre Vermögensverhältnisse zu reden (Dieser Eindruck mag auch mit meiner Rolle als neutraler Wirtschaftsjournalist zusammenhängen). Und es ist nun mal ein Unterschied, ob Anleger Meier schon ein paar Aktien bzw. Fondsanteile hat und jetzt – neben Liquidität und Goldmünzen – noch 10.000 bis 20.000 Euro investieren will (und dann beispielsweise fragt: „Was halten Sie von ETFs?“). Oder ob sich Herr Müller, wohlhabend und längst gut investiert, mit seiner Anlage suchenden „halben Million“ nicht zwischen Aktien und Edelmetallen entscheiden kann („Es ist doch politisch alles so unsicher!“).


Spürbar verunsicherte oder abgeschreckte Anleger bilden eher die Minderheit. Dagegen habe ich alleinstehende Damen erlebt, die sich mit der Verwaltung ihres vom verstorbenen Ehemann (Unternehmer) aufgebauten ansehnlichen Vermögens durchaus nicht überfordert fühlen. Mich haben auch erfolgreiche Jungmanager (Anfang 30) angesprochen, die sich als Millionäre bezeichneten und neben ihrem Anlagedepot jetzt sechsstellig traden wollen. Interessant ferner, dass es Messebesucher gab, die durch Freunde als Vorbilder zunächst Trader geworden sind („Wir können uns nicht beschweren“, so ein sichtlich zufriedenes Ehepaar) und jetzt auch in die klassische Kapitalanlage einsteigen wollen – mit Aktien. In der Regel ist es umgekehrt, entwickeln sich der Anleger zum Trader.


Ganz weit auseinander gingen die Aussagen zum zeitlichen Horizont. Beispiel private Vorsorge: Zahlreiche schon „reife“ Privatanleger neigen unter Hinweis auf ihr Alter zu kurz- bis mittelfristigen Strategien. Sie winken öfter auch ab, wenn man ihnen entgegenhält, sie könnten doch Kindern und Enkeln mit dem Start von Sparplänen etwas Gutes tun. Andererseits habe nicht wenige Anleger gesprochen, die entweder auf Immobilienbesitz als Altersvorsorge hinwiesen oder bedauerten, keinen nennenswerten monatlichen Betrag für Sparpläne aufbringen zu können. Mein „Rekordergebnis“ in Stuttgart war ein 27-jähriger Mann, der monatlich 650 Euro einem Aktienfonds-Sparplan für die Altersvorsorge zuführt.


Auch bei der Anzahl der Aktien und Aktienfonds im Depot sowie deren Streuung stellte ich immer wieder große Unterschiede fest. Die Angaben meiner Gesprächspartner reichten von „eine Handvoll Dax-Werte“ bis „so um 200 internationale Titel herum, genau weiß ich das nicht“.

Dass die Mehrheit der erfahrenen Privatanleger inzwischen weiterdenkt, zeigt sich im beachtlich großen Interesse an alternativen Investments, um nicht allein auf Aktien zu setzen. Dabei spielen aktuell Rohstoffe (einschließlich Edelmetalle) und nachhaltige Produkte eine größere Rolle. Derivate und strukturierte Anlageinstrumente (Zertifikate) gehören zum Alltag meist jüngerer und kurz- bis mittelfristig operierender Anleger, werden von vielen Älteren aber nach wie vor abgelehnt.

Noch einmal mein Resümee: Niemand möge Erfahrungen und Know-how deutscher Privatanleger unterschätzen!


Machen Sie weiter mit – und machen Sie’s gut!