KUTZERS CORNER

Wie lange noch glänzt der „Lotuseffekt“? 

06.07.25

Die kurzfristigen Anleger am Aktienmarkt warten wie gebannt auf den 9. Juli. Denn am kommenden Mittwoch wird die Verhandlungsfrist für ein Handelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union ablaufen.

Es bleibt also spannend, bis auf weiteres. Denn auch andere Staaten arbeiten bis dahin noch an einer Einigung, um hohen Strafzöllen von US-Präsident Donald Trump zu entgehen. Die Hoffnung, dass die Frist womöglich noch verlängert wird, hatte sich zuletzt zerschlagen. „Es ist natürlich möglich, dass jetzt noch einige Last-Minute-Deals abgeschlossen werden. Viele Staaten werden sich aber schon in der kommenden Woche höheren Zöllen ausgesetzt sehen. Und Stand jetzt gehören dazu auch die Staaten der EU", fasste Analyst Thomas Altmann von QC Partners die Lage zusammen. Gerade die exportorientierte deutsche Wirtschaft würden die Strafzölle hart treffen.

Wenn die Unsicherheitsfaktoren abperlen

So wichtig neue Belastungen für den Welthandel auch sein mögen, es ist nur ein Faktor. Stefan Rondorf, Senior Investment Strategist bei Allianz Global Investors, hat in seiner jüngsten Analyse einen breiten Blickwinkel gewählt. Er übernimmt das Bild vom „Lotuseffekt“, den Sie aus der Natur kennen, geschätzte Anleger:

Der Lotuseffekt beschreibt das Phänomen, dass Wasser und Schmutzpartikel von bestimmten Oberflächen nahezu rückstandslos abperlen. Flüssigkeiten finden keine Haftung, Schmutz kann daher leicht weggeschwemmt werden. Wie Wasser auf dem Lotusblatt perlen viele Unsicherheitsfaktoren derzeit scheinbar spurlos von den globalen Kapitalmärkten ab.

Da wären zum einen die zahlreichen geopolitische Konfliktherde. Die größte Volatilität brachte zuletzt der israelische Militärschlag gegen iranische Atomanlagen, inklusive der Luftschläge der Vereinigten Staaten. Bei der Beurteilung von geopolitischen Ereignisrisiken ist vor allem zu beobachten auf welchen Kanälen sich solche Schocks in Wirtschaft und Märkte übertragen könnten. Der Ölpreis war zwar sprunghaft angestiegen, vom Niveau her blieb er jedoch in seiner gewöhnlichen Handelsspanne. Zudem hat er sich nach dem Ende der Eskalationsspirale schnell beruhigen können. Dies ist der Hauptgrund, warum zu erwarten ist, dass sich die Folgen für das wirtschaftliche Sentiment in Grenzen halten dürften. So blieben vom Ölpreis abgesehen auch die Finanzmärkte vergleichsweise unbewegt, was wiederum die Auswirkungen auf die Wirtschaft begrenzt.

Auch Konjunktursorgen übertrieben?

Neben der unsicheren politischen Lage könnten sich die Anleger auch über den Konjunktur- und Inflationsausblick besorgt zeigen, aber auch hier konnten bisher viele Probleme abperlen. So scheinen sich die Folgen der am 2. April begonnenen handelspolitischen Zuspitzungen seitens der US-Regierung zunächst noch in Grenzen zu halten. Auf der konjunkturellen Seite liegt dies zum einen an verschiedenen Vorzieheffekten, besonders für das Verarbeitende Gewerbe. Zum anderen milderte das Zurückrudern von US-Präsident Trump bei Zollsätzen und Handelshemmnissen die Wirkung der Anfang April verkündeten Politik deutlich ab.

Der Lotuseffekt auf den Kapitalmärkten wird auch durch diverse Hoffnungen genährt, schreibt Rondorf weiter. Losgelöst von der viel Aufmerksamkeit absorbierenden US-Politik entwickelt sich beispielsweise die Hoffnung, dass Europa einige seiner Hausaufgaben macht (die Bankenunion als ein Beispiel), mehr Nachfrage entfaltet und womöglich sogar ein wenig Bürokratieabbau auf der Angebotsseite schafft. Gerade in Deutschland verbessern sich in kleinen Schritten einige Frühindikatoren.

Indizes senden positive Signale

Fazit des Investmentstrategen: „Ein Anfang ist also gemacht. Vor allem diese Hoffnungen scheinen wie der schützende Film des Lotusblattes auf die Kapitalmärkte zu wirken.“ Einige Indizes haben in diesen Tagen neue Allzeithochs markiert, allen voran der amerikanische Leitindex S&P 500. Die technische Situation sieht wieder vielversprechend aus. Nach der beeindruckenden Erholung seit Mitte April dürften die wieder gestiegenen Bewertungen allerdings wenig Puffer für Unvorhergesehenes bieten. Offen bleibt die Frage: Wie lang hält der Schutzfilm?

Zu guter Letzt

Ich kann gut nachvollziehen, wenn die skeptischen Stimmen beim Blick auf die Aktienmärkte mit kurz- bis mittelfristigem Prognosehorizont nicht verstummen. So fragt die Frankfurter Helaba: Kommt jetzt die kalte Dusche? Mit einem beim Dax überragenden ersten Halbjahr haben Aktien viel Positives vorweggenommen und sind hoch bewertet. Wird Trump nun zum Spielverderber? Mit einer Performance von 20 % hat der Dax im ersten Halbjahr nicht nur den EuroStoxx 50 (rund 8,3 %), sondern auch die vermeintlichen Leitindizes S&P 500 (5,5 %) klar hinter sich gelassen. Profitieren konnte das deutsche Börsenbarometer dabei von der Hoffnung auf eine konjunkturelle Belebung angesichts einer deutlich expansiveren Fiskalpolitik. Zudem waren hiesige Titel niedriger bewertet als ihre US-Pendants. In Verbindung mit einer von vielen Marktteilnehmern erwarteten US-Dollar-Schwäche war der Dax somit für viele Investoren aus dem Dollarraum eine ideale Anlagealternative.

Ich mache es mir leicht, liebe Aktienfreunde, und bleibe bei meinem grundsätzlichen Optimismus – allerdings nicht beim Blick auf die kommenden Tage und Wochen.

Langfristig orientierte Investoren können an ihrer Strategie festhalten. Ein gemischtes Portfolio aus international gefragten Aktien und Edelmetallen bleibt mir sympathisch.