Geh’n Sie lieber nicht mit den Konjunkturdaten
20.07.25
Unsere Wirtschaft erholt sich. Doch kann man den aktuellen Konjunkturindikatoren noch nicht trauen. Es gibt zu viele und Unterschiedliche.
Von Zeit zu Zeit zitiere ich den Wirtschaftswunder-Song „Geh’n Sie mir der Konjunktur“, den das Schweizer Hazy Osterwald Sextett in den 1960er Jahren bekannt machte. Aber mit welcher Konjunktur, der Deutschen, der Europäischen, der Amerikanischen? Vorsicht, geschätzte Anleger, Sie wissen ja, dass Konjunktur und Börse nicht (immer) im Gleichklang laufen. Gerade jetzt, schon seit Monaten, geht es mit den Aktienkursen früher und steiler aufwärts als mit der Konjunktur.
Der ZEW-Index steigt weiter
Andererseits sollte man Konjunkturdaten und -prognosen bei seinen Anlageentscheidungen auch nicht völlig vernachlässigen. Welche und mit welchem Gewicht börsenrelevant sind, das bleibt eine ständige Herausforderung für Analysten und Investoren. Jüngstes Beispiel: In der vergangenen Woche wurde der monatliche ZEW-Konjunkturindex veröffentlicht. Ergebnis: Erholung setzt sich fort. Im Juli 2025 steigen die ZEW-Konjunkturerwartungen um 5,2 Punkte über dem Vormonatswert. Die Einschätzung der aktuellen konjunkturellen Lage legt erneut kräftig zu. Der Lageindikator für Deutschland steigt um 12,5 Punkte und liegt nun bei minus 59,5 Punkten.
Dazu erläutert das ZEW: Nach den kräftigen Aufhellungen der vergangenen zwei Monate verfestigt sich die positive Stimmung unter den Befragten. Trotz anhaltender Unsicherheit Zusammenhang mit globalen Handelskonflikten erwarten 15. Juli 2025 knapp zwei Drittel der Expertinnen und Experten eine Verbesserung der deutschen Konjunktur.
Hoffnung auf Ende des Zollstreits
Die Hoffnung auf eine baldige Lösung des US-EU-Zollstreits sowie potenzielle Wirtschaftsimpulse durch das geplante Investitionssofortprogramm der Bundesregierung scheinen das Stimmungsbild zu dominieren. Der gestiegene Optimismus drückt sich insbesondere in stark gestiegenen Erwartungen für den Maschinenbau und die Metallproduktion aus, gefolgt von der Elektrobranche. Im Juli bleiben die Konjunkturerwartungen für die Eurozone stabil. Diese liegen aktuell mit plus 36,1 um 0,8 Punkte über dem Vormonatswert. Die Einschätzung der konjunkturellen Lage in der Währungsunion verbessert sich ebenfalls, wenn auch deutlich weniger als der Wert für Deutschland. Mit minus 24,2 Punkten liegt sie aktuell um plus 6,5 Punkte über dem Vormonatswert.
Mittelfristige Erwartungen der Analysten
An der Umfrage im Rahmen des ZEW-Finanzmarkttests des ZEW – Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung vom 07. bis 14.07.2025 haben sich 193 Analystinnen und Analysten sowie institutionelle Anleger/innen beteiligt. Sie wurden nach ihren mittelfristigen Erwartungen bezüglich der Konjunktur- und Kapitalmarktentwicklung befragt. Der Indikator Konjunkturerwartungen gibt die Differenz der positiven und negativen Einschätzungen für die zukünftige Wirtschaftsentwicklung auf Sicht von sechs Monaten in Deutschland wieder. Das ZEW in Mannheim forscht im Bereich der angewandten und politikorientierten Wirtschaftswissenschaften und stellt der nationalen und internationalen Forschung bedeutende Datensätze zur Verfügung.
Entspannung aber weiter auf tönernen Füßen
Eine aktuelle Stellungnahme Der ZEW-Index setzt seinen Erholungskurs fort. Zwar hat die Juli-Umfrage die jüngsten Zolldrohungen von Donald Trump noch nicht komplett erfasst – der erneute Anstieg der Konjunkturerwartungen ist aber ein weiterer Hoffnungsschimmer für die deutsche Wirtschaft, heißt es in einem Kommentar der DZ Bank. Zudem schätzen die befragten Finanzmarktexperten die aktuelle wirtschaftliche Lage ebenfalls besser ein. Insgesamt fällt das Niveau trotz eines deutlichen Anstiegs bei der aktuellen Lage aber immer noch sehr schwach aus. Die bessere Stimmung der Börsenprofis fußt damit weiter vor allem auf der Erwartung, dass sich das Wirtschaftsumfeld in den kommenden Monaten verbessert. Dass diese Entspannung so schnell eintritt, ist aber keineswegs in Stein gemeißelt, schränken die Banker ein. Eher dürfte sich die erhoffte Erholung bis ins nächste Jahr ziehen und nicht sehr dynamisch ausfallen. Vor allem mit Blick auf die USA bleibt Deutschlands Exportabhängigkeit ein Risiko.
Die wichtigsten Ereignisse der kommenden Woche
Als Privatanleger sollten Sie, lieber Leser, in jedem Fall auf den zeitlichen Rahmen der Konjunkturdaten und -prognosen, sowie auf die unterschiedlichen Beurteilungen von einzelnen Branchen achten. Was auf die kurzfristig orientierten Anleger in der neuen Woche zukommt, skizziert die Deka Bank:
Donnerstag: In unsicheren Zeiten setzt sich die langsame Erholung der Einkaufsmanagerindizes für die Industrie in Europa fort. Die Dienstleister befinden sich dagegen in ganz Europa auf einem Abwärtstrend, wobei nur Frankreich im Juli die Chance hat, diesen zu durchbrechen. Weiterhin dürfte EZB die Leitzinsen bei dieser Ratssitzung unverändert lassen, die Tür für eine weitere Senkung jedoch nicht verschließen. Auf der Pressekonferenz ist diesbezüglich mit einer zweigeteilten Botschaft zu rechnen: Einerseits ist die EZB bereit, ein temporäres Unterschreiten des Inflationsziels in dem derzeit vorhergesagten Ausmaß zu tolerieren. Andererseits würde sie geldpolitisch gegensteuern, falls sich eine längere Zielverfehlung abzeichnen sollte.
Freitag: Die Stimmungsaufhellung geht weiter, zunehmend getragen von der Einschätzung der gegenwärtigen Lage. Auch die Erwartungen hinsichtlich der künftigen Geschäftstätigkeit dürften sich verbessern, sodass unterm Strich das nächste Ifo Geschäftsklima (= ein besonders stark beachteter Konjunkturindikator) im Juli spürbar zulegen kann.
Zu guter Letzt
Dass die Börse der wirtschaftlichen Realität vorweg läuft, gilt nicht nur für die Phasen der Erholung. Außerdem können andere Einflüsse zumindest zeitweise stärker auf die Märkte einwirken als Konjunkturdaten – vor allem die Geldpolitik und die internationalen Liquiditätsströme.