Finanzmärkte: Auf einen ruhigen Jahresverlauf kann man nicht bauen

16.05.18

Nichts ist klar, nichts ist sicher. Deshalb sollten sich kurz- und mittelfristig orientierte Anleger nicht auf solide Kursentwicklungen verlassen. Gerade die vergangenen Tage haben – wieder einmal! – gezeigt, wie schnell sich die Rahmenbedingungen für die Börsen bewegen können bzw. wie schnell sie in Frage gestellt werden. Die täglichen Nachrichten und Kurszuckungen sind irritierend, ebenso das Zusammentreffen von starken Preissteigerungen der Ölnotierungen mit unerwartetem Rückgang der Goldpreis.




Immer weiter in den Vordergrund rückt die Konjunkturdiskussion – erleben wir nur eine Delle, die schon im zweiten Quartal 2018 wieder ausgebügelt wird, oder hat das Ende der langen Wachstumsphase begonnen? Die fundamentalen Wirtschaftsdaten müssen neben Geld- und Zinspolitik sowie der Geo- und Handelspolitik wieder stärker beachtet werden.


Bei dieser Gelegenheit möchte ich die Älteren unter Ihnen wieder einmal an das Hazy-Osterwald-Sextett erinnern, dessen originelle Musik („Kriminaltango“) Anfang der 1960er Jahre ziemlich beliebt war. Einer der Hits passt zur aktuellen Börsenlage: Der „Konjunktur Cha Cha“, dessen Text dauernd wiederholt wird „Geh’ n Sie mit der Konjunktur, Geh’ n Sie mit, Geh’n Sie mit, Geh’ n Sie mit auf diese Tour, Geh’n Sie mit, Geh’ n Sie mit“. Dann folgt der Appell: „Nehm’ n Sie sich ihr‘n Teil, sonst schäm’ Sie sich und später geh ‘n Sie nicht zum großen Festbankett.“ Bei der betont langfristigen Aktienanlage funktioniert das – aber jetzt?


Die Frage stellt sich nicht zuletzt durch die jüngsten deutschen Konjunkturdaten. Denn sinkende Exporte, schwächelnder Konsum und Sondereffekte wie die Grippewelle haben das Wachstum der deutschen Wirtschaft zu Jahresbeginn halbiert. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte von Januar bis März nur noch um 0,3 Prozent zum Vorquartal zu – ein kleineres Plus gab es zuletzt vor drei Jahren. Dennoch erwarten weder die Regierung noch die meisten Ökonomen ein baldiges Ende des Konjunkturbooms: Rekordbeschäftigung und Lohnzuwächse dürften den Konsum wieder anschieben, die gute Weltwirtschaft die Ausfuhren trotz des ungelösten Handelsstreits mit den USA stützen. „Insgesamt bleibt der Aufschwung der deutschen Wirtschaft intakt”, teilte das Bundeswirtschaftsministerium am Dienstag mit.


Das BIP legte bereits das 15. Quartal in Folge zu, wenn auch langsamer als von Ökonomen mit 0,4 Prozent vorhergesagt. „Das ist die längste Aufschwungphase seit 1991”, erklärte das Statistische Bundesamt. Ende 2017 hatte es allerdings noch zu einer Rate von 0,6 Prozent gereicht. Dadurch weist die einstige Wachstumslok jetzt ein langsameres Tempo auf als die Euro-Zone, die im ersten Quartal auf 0,4 Prozent kam. „Die Boomphase scheint definitiv vorbei”, sagte Chefvolkswirt Uwe Burkert von der Landesbank LBBW. „Der Jahresstart ist eine Enttäuschung, aber noch nicht der Anfang vom Ende des Aufschwungs”, sagte dagegen der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Martin Wansleben. „Auch wenn sich außenwirtschaftlich einiges ins Negative wendet, wollen die Unternehmen hierzulande investieren und weiter Beschäftigung aufbauen.”

Ende des Booms oder tatsächlich nur eine Wachstumsdelle? Die Strategen von Allianz Global Investors legen einen anderen Schwerpunkt mit der These Zeit für Comebacks am Kapitalmarkt. 

Kurzfristig am Wichtigsten dürfte das Wiedererstarken des US-Dollar sein. Monatelang hatte der Währungsmarkt beim Dollar den Fokus auf strukturelle Belastungsfaktoren wie das US-Zwillingsdefizit in Leistungsbilanz und Staatshaushalt sowie das unvorhersehbare Handeln der Regierung auf verschiedensten Konfliktfeldern gerichtet, dabei aber die Zinsdifferenzen etwas aus den Augen verloren. So beträgt beispielsweise der Renditeabstand zwischen zweijährigen Staatsanleihen aus den USA und Deutschland inzwischen über 3%, das gab es seit Ende der 1980er Jahre nicht mehr. Nach den jüngsten Zentralbanksitzungen und Inflationszahlen ist klar geworden: Vorrangig die amerikanische Fed ist jetzt als Inflationswächter gefragt. Drei weitere Zinserhöhungen in diesem Jahr liegen im Bereich des Möglichen. Im Euroraum dagegen entwickelt sich die Inflation trotz besserer Wachstumsdaten und enger werdender Arbeitsmärkte weiter zäh.


Die Divergenz der Geldpolitik ist zurück. Sollten sich Zinsdifferenzen am Währungsmarkt als dominierender Faktor erweisen, wäre ein Euro/Dollar-Kurs von 1,15 möglich. An den Kapitalmärkten könnten sich laut AllianzGI daraus folgende Konsequenzen ergeben: Rückenwind für die in den letzten Monaten relativ schwach abschneidenden Aktien von Eurozonen-Exporteuren, deren Gewinne von der Euro-Aufwertung merklich geschmälert wurden. Gegenwind für Aktien und Anleihen der Schwellenländer, vor allem für solche, die in US-Dollar verschuldet sind. Gegenwind dürfte sich auch für Rohstoffe wie Gold oder Industriemetalle einstellen. Hätten die Korrelationsmuster der letzten fünf Jahre Bestand, würde die Dollar-Aufwertung auch einen Dämpfer für den Ölpreis bedeuten. Vorerst entfaltet dieser aber noch Comeback-Qualitäten. Die globale Nachfrage nach Öl entpuppt sich als robust, die Investitionen in neue Ölfelder bleiben gering und rund um das Thema Iran ergeben sich kurzzeitig Sorgen um das Ölangebot.


So kann es kommen. Doch gibt es nach meinen Beobachtungen zunehmende Meinungsvielfalt – andere Experten sehen beispielsweise eine Abschwächung des Dollars und steigende Rohstoffpreise. Ich sehe mehr noch als vor einigen Wochen überall dicke Fragezeichen. Deshalb hat die häufiger zu hörende Forderung nach Flexibilität der (kurzfristigen) Anleger aktuell besondere Berechtigung.


Machen Sie also weiter mit – und machen Sie’s gut!