Clevere Privatanleger liegen besser als die Masse der Profis

 01.10.20

Es ist schon erstaunlich, zumindest bemerkenswert, wie clever und beweglich sich deutsche Privatanleger inzwischen an der Börse verhalten – offenkundig mit zunehmender Tendenz. Gerade im laufenden Jahr mehren sich die Beobachtungen, dass immer mehr Sparer die Aktie als bessere Alternative zum Bankkonto entdecken. Börsencrash und hohe Volatilität werden nicht mehr als abschreckend empfunden, sondern als Chance genutzt.

Die Verhaltensforscher Goldberg & Goldberg an der Börse Frankfurt loben entsprechend in ihrem Wochenbericht (Stand Mittwochnachmittag), denn sie konnten beobachten, dass professionelle Investoren auf die jüngsten Kurskapriolen mit Rückzug und private mit Aktienkäufen reagierten. Letztere hätten zuvor deutlich mehr Geschick gezeigt: Trotz kräftiger Sprünge in beide Richtungen, auf die beide befragte Anlegergruppen sehr unterschiedlich reagiert haben, steht der Dax auf Vorwochenniveau. Profis sind sowohl aus Long- als auch aus Short-Positionen rausgegangen. Die Bullen haben Stop-Loss-Grenzen gezogen und die Bären Gewinne mitgenommen. Die Privaten sind dagegen in Aktien eingestiegen oder aus den Short-Engagements rausgegangen. Sie hätten geschickter agiert als ihre professionellen Kollegen, findet Verhaltensökonom Joachim Goldberg (ein alter Börsenhase). Die Privatanleger hatten nämlich schon vorher ihre bullischen Positionen deutlich zurückgefahren und vermehrt auf fallende Kurse gesetzt – man war also besser auf einen Dax-Rückgang eingestellt als die institutionellen Pendants. Per Saldo haben sich die Pessimisten der Vorwoche dann in die Schwäche hinein um 180 Grad gedreht und sind seither bullisch eingestellt.

Wie kommt das? Ich gehe davon aus, dass immer mehr Sparer dazulernen, motiviert für die Aktienanlage durch die endlose Nullzins-Phase. Dazu kommt, dass auch die Anlageberatung der Banken und Investmentfonds (soweit noch aktiv) qualitativ besser geworden ist – quantitativ nimmt sie in der Breite ja weiter ab. Sicher profitieren Privatanleger vom engagierten Auftreten der Online-Banken, Robo-Advisor und anderer moderner Finanzdienstleister. All das fördert die Weiterentwicklung der ängstlichen Zinssparer zum selbstentscheidenden Anleger.

Einer der engagierten Fondsmanager beklagt in diesen Tagen, dass sich die Mehrheit der Anleger auf mögliche Negativszenarien konzentriert und positive Einflussfaktoren kleingeredet werden. Diese Stimmungslage sei typisch für die frühe Phase eines Bullenmarkts. Und in den aktuellen Schlagzeilen gibt es viele schöne Beispiele für den „Pessimismus des Unglaubens“ zu entdecken. In der frühen Bullenmarkt-Phase liegen negative Nachrichten auf dem Präsentierteller, positive Nachrichten verstecken sich dagegen. Dies sorgt grundsätzlich für gute Rahmenbedingungen und wer diese versteckten Botschaften frühzeitig antizipiert, muss sich später nicht mit dem leidigen Ausspruch „Hätte ich damals bloß investiert!“ auseinandersetzen. Ansichtssache. Mit Blick auf langfristige Investments kann ich das aber unterstreichen. An der Börse sollte man Wenn und Hätte ganz schnell vergessen, ist eine uralte grundsätzliche Empfehlung.