Stellen Sie sich auf Stimmungsschwankungen ein!

 27.12.20

Wetten, dass …? Es reizt zu spekulieren, dass die Börsen morgen fest in die Woche zwischen den Jahren starten werden: Zwei Ereignisse von wirklich großer Bedeutung machen Mut: der Corona-Impfbeginn und die Einigung zwischen EU und Großbritannien. Die Verständigung auf einen Handelspakt nach dem Brexit hat über die Weihnachtsfeiertage auf beiden Seiten des Ärmelkanals große Erleichterung ausgelöst. Die Frage ist nur, ob die good News noch einen Impuls auf die Aktienmärkte auslösen können. Bei der Gelegenheit sei einmal mehr vor Euphorie der Börsen-Bullen gewarnt. Denn wir wissen erst im Nachhinein, was in den Kursen schon vorweggenommen wurde.

Zu einem generellen Thema dieser Zeit ist die mutmaßliche Entkopplung der Finanzmärkte von der Realwirtschaft geworden. Der Bitcoin-Boom spielt dabei eine Rolle. Umstritten bleibt folgende These: „Die Märkte sind verrückt geworden. Die Aktien steigen, während es immer mehr soziale Hilfspakete gibt. Ein Blick in die Zeitung genügt, um das zu verstehen!“ In einer Analyse nimmt die bedeutende französische Investmentgesellschaft LFDE eine interessante Position ein: Auch wenn der zweite Teil des Satzes richtig ist, gilt dies für den ersten bei weitem nicht. Die wirtschaftliche Lage ist wirklich komplex. Steigende Arbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit und sinkende Unternehmensrentabilität – die Wirtschaftskrise, die wir derzeit erleben, ist die schwerste der Nachkriegszeit.

Dann gilt der Blick dem Faktor Zeit – in meinen Augen das wichtigste Element für aktive Anleger. Die sollten unbedingt verstehen, dass sich die zeitliche Dimension der Realwirtschaft und der Kurse von Finanzwerten strukturell unterscheiden. Daher kommt es häufig zu einer vermeintlichen Entkopplung! Die Konjunkturdaten bilden die Vergangenheit ab oder bestenfalls die aktuelle Lage, während die Finanzmärkte die Zukunftserwartungen widerspiegeln. Ihr Zeithorizont wird in der Regel auf rund sechs Monate geschätzt. Genau hierin liegt der entscheidende Unterschied.

Laut LFDE dürften die Wirtschaftsaussichten Mitte 2021viel klarer sein als gegenwärtig. Die Verabreichung der ersten Impfstoffe wird zunächst das Tempo der Ansteckungen verringern und sie dann hoffentlich ganz verhindern. Die Regierungen werden die Wirtschaft in dieser schwierigen Phase weiterhin unterstützen und beispiellose Konjunkturpakete schnüren, um das Tempo der Erholung zu beschleunigen. Die Staatsausgaben werden folglich steigen. Überdies werden die Notenbanken weiterhin Liquidität bereitstellen, damit sich Staaten, Unternehmen und Privathaushalte auf Dauer günstig finanzieren können. Die Fed verkündete jüngst, dass sie die extrem lockeren geldpolitischen Bedingungen noch für längere Zeit beibehalten wird, wie dies auch die EZB kurz zuvor bekanntgegeben hatte. Die Aussichten könnten allein durch das längerfristige politische Risiko getrübt werden, denn es herrscht ein Misstrauen gegenüber den traditionellen Parteien. Die nächsten

Wahlen werden ein gutes Barometer für den derzeit anschwellenden Populismus sein.

Das klingt plausibel und unterm Strich ermutigend (abgesehen von den politischen Risiken). Aber selbst erfahrene Optimisten sollten sich darauf einstellen, dass es wahrscheinlich keinen gradlinigen Aufwärtstrend im neuen Jahr geben wird. Kurz- bis mittelfristige Anleger müssen also weiter auf der Hut bleiben – das heißt: flexibel sein. Ich würde die Tendenz der nächsten Tage auch nicht einfach auf das ganze Jahr hochrechnen.