Die (mindestens) zwei Seiten der aktuellen Kursentwicklung

 06.05.21

Bin ich froh, dass der Dax seine ungewohnt deutliche Korrektur vom Dienstag gleich wieder korrigiert hat (zurück über der Marke 15.000). Denn erschrocken meldeten sich private Anleger mit der Sorge, es könnte ja zu einer Schwächephase kommen – oder? Nein, danach sieht es momentan nicht aus. Aber Stimmung und Verhalten der Anleger sind ohnedies nicht in einem Satz zu beschreiben. Außerdem auch wechselhaft. Und kompliziert wird es erst recht, wenn man situationsgerecht aktiv werden will: Heißt das, kaufen bei steigenden Kursen und aussteigen bei fallender Tendenz? Deshalb heute eine aktuelle Fortsetzung der Betrachtung von Bullen und Bären an der Börse.

Der jüngste Wochenbericht von Verhaltensökonom Joachim Goldberg (den ich sehr schätze) bestätigt, dass die Kursentwicklung mindestens zwei Seiten hat. Dazu Wesentliche Auszüge aus dem Resümee der Sentiment-Erhebung vom Mittwoch an der Börse Frankfurt.

Die Stimmung unter den institutionellen Investoren mit mittelfristigem Handelshorizont hat sich gegenüber der Vorwoche wieder deutlich verschlechtert. Denn unser Börse Frankfurt Sentiment-Index ist um 9 Punkte gefallen. Auffallen ist, dass die neuen Bären per Saldo vollumfänglich aus dem Lager vormals neutral eingestellter Marktteilnehmer gekommen sind. Auf der anderen Seite zeigt sich, dass sich auch die „älteren“ Pessimisten der Vorwochen nicht zu Gewinnmitnahmen durchringen konnten. Vielmehr befindet sich das Bärenlager mit einem Anteil von 52 Prozent aller Befragten auf dem höchsten Stand seit dem 22. Juli 2020. Ein ganz anderes Stimmungsbild präsentieren indes die Privatanleger. Dort befindet sich der Börse Frankfurt Sentiment-Index unverändert gegenüber der Vorwoche.

Mit der Befragung vom Mittwoch hat sich die Stimmungskluft zwischen institutionellen und privaten Investoren deutlich vergrößert. Dabei tritt vor allen Dingen bei Ersteren die Sorge zutage, dass sich die Diskussion über eine geldpolitische Straffung der US-Notenbank trotz aller anderslautenden Beteuerungen wohl nicht mehr so leicht verdrängen lässt. Dies mag auch ein Grund sein, warum sich gerade der Kern der Pessimisten aus den vergangenen Wochen – im Durchschnitt handelt es sich um die Hälfte aller Pessimisten – noch nicht zu Gewinnmitnahmen aus ihren bärischen Positionen in Form von Rückkäufen entschieden hat.

Per Saldo sind dies alleine jedoch keine nachhaltig schlechten Nachrichten für den Dax. Auch wenn die pessimistische Mehrheit des Panels angesichts der jüngsten geldpolitischen Diskussionen offenbar eine erhöhte Risikoprämie fordert, bilden deren Short-Positionen bzw. Absicherungen gutes Nachfragepotenzial in Form von Rückkäufen auf niedrigerem Niveau (vielleicht bei 14.600 Zähler?). Potenzial, das sich auf der anderen Seite im Falle einer deutlichen Erholung des Dax in Form einer veritablen Squeeze entladen könnte.

Soweit das aktuelle Sentiment. Es ersetzt nicht die grundsätzliche Entscheidung für langfristige Strategien – über die kann man sich (wer will) in ganzen Bibliotheken informieren. Aber Stimmungsindikatoren helfen den Profis bei der Interpretation kurzfristiger Bewegungen an der Börse. Dabei taucht das Phänomen der Kontraindikation auf. Ein sehr alter und erfahrener Aktienhändler hat mich vor mehr als einem halben Jahrhundert entsprechend belehrt: „Junger Mann, wenn alle auf einer Seite stehen, musst Du auf die andere gehen.“ Nicht selten sehen Technische Analysten und Stimmungsbeobachter in stärkeren Kursausschlägen (auch) die andere Seite der Medaille. Derzeit spricht eine Schwäche eher für die Kaufbereitschaft vieler Anleger, die aber niedriger (wieder)einsteigen wollen. Die Schwäche als gutes Zeichen, was umgekehrt auch bei festeren Kursen gelten kann.