Anleger müssen mit Fehlprognosen leben lernen

 21.12.21

„Verändert sich die Welt jeden Tag? Gestern der Kurseinbruch, heute der Dax schon wieder deutlich rauf – erklär mir bitte, was los ist!“ Meine gut betuchte Bekannte, die schon einige Börsenjahre auf dem Buckel hat, ärgert sich durchs Telefon. Sie ist besorgt wegen Corona und wundert sich über die späte Marktreaktion auf die neue Welle. Richtig Angst hat sie allerdings, weil sich die Spannungen zwischen Russland und Amerika kriegerisch zuspitzen könnten. Es gelingt mir, die Anlegerin zu beruhigen.

Meine These: Glauben Sie nur nicht, man könnte jede börsentägliche Bewegung sofort verstehen oder gar schon vorher erahnen. Zuviel spielt sich im Hintergrund der Börse ab, ausgelöst durch Transaktionen großer institutioneller Investoren und ihren Algorithmen. Und zu viele unterschiedliche Einflüsse und Meinungen aus aller Welt treffen im Zeitalter der Digitalisierung und Globalisierung zusammen. Vereinfachend zusammengefasst: Wir müssen täglich lernen, was der Markt uns lehrt – die Kurse als Ergebnis von Angebot und Nachfrage im Moment ihrer Feststellung zu akzeptieren.

Was heißt das aktuell? Alle Börsenakteure, Politiker, Wissenschaftler und Unternehmer (einschließlich der Analysten, Volkswirte und Beobachter) müssen mit der Entwicklung der Pandemie lernen. Viel zu selten wird in der öffentlichen Diskussion betont, dass man die Corona-Folgen nicht frühzeitig konkret einschätzen kann – schon gar nicht im Ausmaß und der zeitlichen Abfolge. Deswegen müsste hinter jeder Prognose ein Fragezeichen gesetzt werden, denn die Vorhersagen sind nach ein paar Wochen oder Monaten den neuen Erkenntnissen anzupassen. Es ist angesichts der weitreichenden, schwerwiegenden Konsequenzen einer Pandemie wie Corona kein Wunder, dass alle möglichen Prognosen mehrfach korrigiert werden müssen – auch die zum Aktienmarkt.

Meine aktuelle Prognose (ein Ausblick voller Hoffnung): Omikron kann der Welt zunächst schwer zu schaffen machen, der Wirtschaft wie der ganzen Gesellschaft. Die Inflation wird länger als ursprünglich erwartet überdurchschnittlich hoch bleiben. Vielleicht dauert die Wende zum Positiven bis ins zweite Halbjahr 2022 hinein. Sollte das schon früher deutlich werden, würden es die Märkte schon vorher in den Kursen einpreisen. Dann kann die Erholung der Konjunktur viel kraftvoller werden, als die Ökonomen es heute sehen. Das wäre die Basis für bullische Aktienkurse und neue Indexhöchststände!

PS.: Mir hat gefallen, was das DIW heute zu den Aussichten der deutschen Industrie formuliert hat: Angesichts der üppigen Auftragslage wird der Industriemotor früher oder später anspringen und die Konjunktur merklich ankurbeln – wegen der anhaltenden, massiven Lieferengpässe aber wohl erst später – und zwar im Laufe des kommenden Jahres.