17.03.22
Wie lässt sich die unterschiedliche Entwicklung der Aktienmärkte währen der vergangenen Wochen erklären? Diesmal sind es mindestens zwei Ursachen. Ich empfehle zwar generell (bis auf weiteres) Zurückhaltung mit neuen Engagements. Doch gehören Liquidität und Kapitalströme im globalen Zeitalter zu den richtungsweisenden Größen, an denen sich stets auch der aktive Privatanleger orientieren sollte. Die Sentiment-Beobachter der Börse Frankfurter haben ihre neue Wochenanalyse plausibel zusammengefasst: Kurzfristige Aktionen bestimmen die Richtung der Kurse, internationale Investoren haben sich vom Markt abgewandt.
Es dürfte kaum jemanden verwundern, dass der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine nicht nur die Schlagzeilen beherrscht, sondern auch von den internationalen Fondsmanagern (44 Prozent) mittlerweile mit Abstand als das größte Risiko für die Finanzmärkte gesehen wird. Dies geht aus der neuen Umfrage der Bank of America hervor. Im gleichen Zuge kam es bei den befragten Fondsmanagern zu einem regelrechten Exodus aus Aktien der Eurozone. Waren im Februar noch netto 30 Prozent der Befragten dort in Aktien übergewichtet, gaben nun unter dem Strich 18 Prozent (Saldo aus positiven und negativen Antworten) der Vermögensverwalter an, im Euroraum untergewichtet zu sein.
Ich teile die Interpretation von Joachim Goldberg, dass der heimische Optimismus für den Dax keine Belastung, aber auch keinen starken Antrieb darstellt. Und so bleibt unser Börsenbarometer vor allem Spielball kurzfristiger Akteure. Eine nachhaltige Stabilisierung lässt sich erst erreichen, wenn auch langfristige Kapitalströme wieder Interesse an den heimischen Märkten haben.
Ist die aktuelle Situation mit der ersten großen Ölkrise 1973 und der damaligen Stagflation vergleichbar? Die Abhängigkeit der Weltwirtschaft vom Ölpreis ist in den letzten Jahrzehnten stetig zurückgegangen. Im Moment besteht nicht die Gefahr einer Stagflation, glaubt beispielsweise Investmentexperte Jens Ehrhardt im Gegensatz zu nicht wenigen Warnern aus der Finanzcommunity. Zwar ist die Inflationsrate in den USA und in Europa auf einem Hoch mit Blick auf die vergangenen 40 Jahre, aber die Wachstumsraten dürften hoch bleiben. Einerseits wegen der geringeren Ölabhängigkeit, andererseits wegen des real nach wie vor nicht zu hohen Ölpreises. Wenn die US-Zentralbank längere Zeit die Zinsen erhöht, wächst die Gefahr einer Stagflation – diese ist heute aber noch nicht in Sicht. Tatsächlich sind die US-Zinsen im historischen Vergleich immer noch sehr niedrig. Und auch ein Anstieg um gut 1 Prozent in einem Jahr wäre noch immer niedrig, vor allen Dingen vor dem Hintergrund der hohen Inflation. Die USA sind deutlich weniger abhängig von russischen Energielieferungen als Europa, speziell Deutschland. Sind US-Aktien jetzt grundsätzlich die bessere Wahl?
Ja, ist meine Überzeugung mit Blick auf den weiteren Jahresverlauf. Europäische Aktiengesellschaften dürften zum Teil erheblich unter den hohen Energiepreisen leiden. Die USA importierten auch vor dem Embargo weit weniger als 1 Prozent ihres Ölbedarfs aus Russland. Und: Die US-Volkswirtschaft profitiert durch die Krise in den Bereichen Rüstung, Ölbranche und Agrarsektor. Schließlich dürfen wir bei einem Vergleich mit der Wall Street nicht aus dem Auge lassen, was Nicht-Europäer besonders abschreckt: Europa ist durch Putin zum Kriegsgebiet geworden.