USA / Europa: Aktienkurse am Scheideweg

20.06.18

Es kommt nicht nur auf die einzelnen Börseneinflüsse und deren Gewichtung an, sondern auch und vor allem auf unterschiedliche Trends in den wichtigsten Volkswirtschaften der Welt. Das könnte jetzt der Fall sein – oder anders ausgedrückt: Konjunkturverlauf, Wirtschaftspolitik, Geld- und Zinspolitik sind für sich genommen aktuell keine gravierenden Belastungsfaktoren für die Aktienmärkte. Aber ein zunehmendes Auseinanderdriften zwischen den Entwicklungen in den USA einerseits sowie Europa und den führenden Schwellenländern andererseits könnte ein nachhaltiges Problem werden. Deshalb können die Aktienkurse jetzt an einem Scheideweg stehen. Können.




Mich hat in diesem Zusammenhang eine Betrachtung von Larry Hatheway beeindruckt – der Chefökonom des großen internationalen Vermögensverwalters GAM Investments titelt seine Analyse „Eskalation im Handelsstreit zum ungünstigsten Zeitpunkt.“ Denn der jüngste Treiber des „Risk Off“ an den Finanzmärkten ist die besorgniserregende potentielle Eskalation des Handelskonflikts zwischen den USA und China. Die schärferen Töne in diesem Konflikt treffen auf eine Marktstimmung, die sich bereits labiler darstellt. Entscheidend dafür sind die folgenden vier Gründe:

1. Trotz der Anzeichen, dass die USA und Japan ihr jeweils mäßiges erstes Quartal hinter sich zu lassen scheinen, gilt dies nicht für die Wirtschaft in Europa (s. jüngste Abwärtskorrekturen für die deutsche und europäische Konjunktur). Das deutet auf einen schwächer als erwarteten Verlauf des globalen Wachstums in der ersten Jahreshälfte hin.

2. Die US-Notenbank Fed hat sehr deutlich klargestellt, dass sie die Zinsen in diesem Jahr noch zweimal und 2019 dreimal erhöhen wird. Anleger, die auf eine langsamere Normalisierung hofften, werden von der Fed enttäuscht.

3. Die divergierende Entwicklung des Wachstums und der Geldpolitik in den USA bzw. Europa treibt den US-Dollar an den globalen Devisenmärkten nach oben. Dies wiederum schwächt die Performance der Schwellenmärkte. Die größten Sorgen in den Emerging Markets sind Bedenken in Bezug auf eine nachlassende US-Dollar-Finanzierung, ausgelöst durch die Repatriierung bedeutender Dollar-Volumina, sowie länderspezifische Risiken, wie beispielsweise in Mexiko und Brasilien. Die Emerging Markets sind zudem anfällig für Turbulenzen im globalen Handel. Eine schlechte Entwicklung der Schwellenländer wäre für die allgemeine Anlegerstimmung negativ.

4. Die politische Situation in Europa ist noch unsicherer geworden. Die Stellung Angela Merkels erscheint prekär und hängt davon ab, dass die EU-Länder eine schnelle Einigung beim Thema Migration erzielen. Die Situation in Italien bleibt unklar und in Großbritannien wird der Brexit weiterhin die Regierung belasten.


Zusammengefasst haben die Sorgen um den Handelsstreit derzeit den bedeutendsten Einfluss auf die Märkte. Zudem kommen sie zu einem Zeitpunkt, da die Stimmung der Anleger aufgrund mehrerer anderer Faktoren bereits angespannt ist. Fazit der GAM: „Es würde uns überraschen, wenn es aktuell zu breit abgestützten Zukäufen auf diesem tiefen Preisniveau kommen würde. Wir haben unsere eigenen Strategien entsprechend vorsichtiger aufgestellt.“


Warum eine größer werdende transatlantische Kluft? Geldpolitisch zeichnete sich das ja längst ab, aber gesamtwirtschaftlich haben die jüngsten Prognosen eher überrascht mit Schlagzeilen wie „Institute senken Konjunkturprognosen – Gewitter zieht auf". Wieder einmal müssen wir erkennen, dass Vorhersagen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nicht zuverlässig sind bzw. sein können und deshalb im Verlauf revidiert werden müssen. Aktuell schrauben immer mehr Institute nach dem schwachen Jahresauftakt und wegen des Handelsstreits mit den USA ihre Prognosen für die deutsche Wirtschaft kräftig herunter.


Das Münchner Ifo-Institut nahm seine Vorhersage für das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in diesem Jahr auf 1,8 (bislang: 2,6) Prozent zurück, für 2019 auf 1,8 (2,1) Prozent. „Am deutschen Konjunkturhimmel brauen sich derzeit kräftige Gewitterwolken zusammen”, sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. Das sieht das Essener RWI-Institut ebenfalls so: Es senkte seine Wachstumsprognose für das laufende Jahr auf 1,8 (2,4) Prozent und erwartet für 2019 sogar nur noch 1,5 (1,9) Prozent. Zuvor hatten schon das Berliner DIW und das IWH in Halle ihre Erwartungen kräftig nach unten korrigiert.


Was heißt das für die Börsen? Wegen des großen Gewichts der politischen und wirtschaftspolitischen Entwicklungen, die kaum oder gar nicht berechenbar sind, sei vor konkreten Kursprognosen gewarnt. Ich halte es für möglich, dass sich die Wall Street in den kommenden Monaten deutlich besser entwickelt als der Rest der Welt. „America first“ – das wäre dann der Scheideweg. Doch könnten anhaltende Konflikte und Krisen allseits eine Kursbremse bleiben, also insgesamt Unsicherheit und Zurückhaltung der Anleger über Monate hinweg auslösen. Vermutlich fühlen sich engagierte Stockpicker in solchen Phasen am wohlsten.


Machen Sie weiter mit – und machen Sie’s gut!