Geldpolitik/Zinsen: Die langsame Rückkehr zur Normalität

16.06.18

Erstmals seit vielen Monaten erntet die Europäische Zentralbank (EZB) jetzt auch Lob aus der Wirtschaft für die Klärung ihrer weiteren geldpolitischen Strategie. Und die Aktienbörsen haben nach der jüngsten EZB-Sitzung am Donnerstag spontan positiv reagiert. Ich halte es für möglich, dass sich Dax & Co. jetzt wieder nach oben orientieren, wozu aber auch eine Klärung des transatlantischen Handelsstreits erforderlich wäre. Zudem darf es keine Euro-Krise durch Italien geben. Die Aktienkurse können in naher Zukunft neue Höchststände erklimmen. Dabei dürfte die Wall Street von Kapitalzuflüssen aus dem Ausland angesichts des fester tendierenden Dollars profitieren.




Ifo-Präsident Clemens Fuest hat vor allem das angekündigte Ende der EZB-Anleihekäufe herausgestellt. „Es ist sehr zu begrüßen, dass das Kaufprogramm der EZB beendet wird. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer Normalisierung der Geldpolitik. Durch die Käufe von Staatsanleihen wird die Notenbank immer mehr zum Gläubiger der Staaten. Das kann die Unabhängigkeit der Geldpolitik untergraben. Eine Rückkehr zu Normalität in der Geldpolitik ist auch deshalb wichtig, weil sonst in der nächsten Konjunkturkrise Handlungsspielräume fehlen", sagte Fuest.


Mit ihrer Aussage, dass die Leitzinsen nicht vor Herbst 2019 erhöht werden sollen, ist die EZB konkreter geworden, als viele erwartet hatten, lobt die DZ Bank. Sie beugt damit Interpretationen vor, dass die erhöhten Inflationsprojektionen eine frühere Zinswende nach sich ziehen könnten und zeigt, dass sie im Zweifel durch einen ölpreisbedingten Anstieg der Inflationsrate hindurchschauen wird. Die Währungshüter haben sich erst einmal Luft verschafft. Solange sich am fundamentalen Umfeld nichts Entscheidendes ändert, dürften die EZB-Ratssitzungen der kommenden Monate eher langweilig werden. Falls sich aber die Wirtschaft in der Eurozone weiter abschwächen sollte (was die Analysten nicht erwarten), geriete die EZB in eine Zwickmühle. Sie hätte ihre Zinsen längst anheben können und in diesem Fall auf der Zinsseite wenig Möglichkeiten, einem konjunkturell bedingten Rückgang der Teuerung entgegenzuwirken. Dann müssten wieder Anleihekäufe herhalten, die in Zukunft zum normalen Instrumentarium der EZB gehören sollen.


Dennoch mahne ich weiter zur Vorsicht, liebe Anleger, denn nach den jüngsten Signalen einer nachlassenden Dynamik der Konjunktur bei steigenden Inflationsraten bleiben zumindest die fundamentalen Wirtschaftsdaten permanent im Fokus. Außerdem ist von einer anhaltend hohen Sensibilität der Märkte gegenüber geo- und wirtschaftspolitischen Belastungen auszugehen. Das zeigen diverse Indikatoren bereits seit Wochen. Sie können, geschätzte Leser, Ihr taktisches Verhalten mit den folgenden Angaben vergleichen. Grundlage ist der aktuelle „Brokerage Index“ von
Comdirect, der wegen der Krisenängste (Italien) vieler Anleger von 101,5 Punkten im April auf 96,4 Punkte im Mai gesunken ist. Die Verkäufe haben die Käufe im vergangenen Monat überwogen, es hat aber kein Ausverkauf stattgefunden. Renten und Fonds wurden deutlich stärker verkauft als gekauft, die Handelsaktivität bei Fonds war aber im Gegensatz zu Rentenpapieren sehr niedrig. Hier scheinen die Anleger eine abwartende Haltung einzunehmen.


Bei Aktien haben Privatanleger hingegen mehr Titel zugekauft als abgestoßen. Der Brokerage Index ist in dieser Anlageklasse zwar um 6,2 Punkte gefallen, er liegt mit 107,6 Punkten aber immer noch deutlich im Kaufbereich. Die Anleger haben sich im generell eher unsicheren Marktumfeld auf einzelne Chancen fokussiert. So zählten (man mag’s kaum glauben) Finanztitel wie Deutsche Bank und die Commerzbank zu den Top-Käufen im Mai. Hohe Käufe verzeichneten im Mai auch die Titel der Deutschen Telekom, Evotec und Steinhoff International. Unter den Top-Verkäufen befanden sich im Mai die Werte von Daimler, Apple, SAP und Evotec. Die Kurse von Daimler standen im Mai durch den Abgasskandal und die Rückrufaktion stark unter Druck. Das hat viele Anleger misstrauisch gemacht. Bei Apple, SAP und Evotec sah die Lage umgekehrt aus: Aufgrund guter Kursperformance realisierten viele Anleger ihre Gewinne.


Und so wird das Anlegerverhalten an der Börse Frankfurt in den letzten Tagen vor den Notenbanksitzungen von den hiesigen Sentiment-Analysten beschrieben: Privatableger sind skeptisch geblieben. Der mangelnde Wille vieler Akteure, sich in größerem Maße zu positionieren, und die hohe Neutralität der institutionellen Anleger sind möglicherweise nicht einmal auf bevorstehende Risikoereignisse zurückzuführen, sondern vielmehr auf die fehlende Aussicht auf einen größeren Trend. Für den Dax bedeuten die jüngsten Positionierungen, dass große Trends zumindest in der nahen Zukunft Mangelware bleiben dürften – es sei denn, es käme zu größeren Ab- oder Zuflüssen von internationalem Kapital.


Machen Sie weiter mit – und machen Sie’s g