Blickpunkt China: Wo Chancen und Risiken für Anleger entstehen

21.11.18

Wall Street ist nicht mehr die alleinige Leitbörse (manchmal auch „Leidbörse“) der Welt, denn Chinas Wirtschaft und Finanzmärkte stehen inzwischen ebenso im Blickfeld. Kein Wunder, dass die Nachrichten aus dem Reich der Mitte tägliche Beachtung finden, dass Volkswirte und Analysten die Chancen und Risiken für Anleger ausloten. China wurde in seiner Entwicklung lange unterschätzt – mittlerweile werden Prognosekorrekturen zum Wirtschaftswachstum eher überschätzt. Ich zähle mich nach wie vor zu den China-Fans, die ungeachtet zyklischer Schwankungen auf die langfristige Festigung als zweitgrößte Weltwirtschaftsmacht setzen. Dass es nicht leicht fällt, die kurz- und mittelfristigen Aussichten dieser Weltmacht zu beurteilen, lässt sich an den jüngsten Veröffentlichungen ablesen, aus denen im folgenden auszugsweise zitiert wird.



Das sogenannte China Economic Panel (CEP) der Wissenschaftler von ZEW und Fudan Universität (Shanghai) malt ein düsteres Bild: In der aktuellen Umfrage von November (31.10. – 14.11.2018) brechen die Konjunkturerwartungen geradezu ein. Der CEP-Indikator, der die Konjunkturerwartungen internationaler Finanzmarktexperten für China auf Sicht von zwölf Monaten wiedergibt, fällt um 28 Punkte auf einen neuen Wert von minus 30,0 Punkten (Oktober 2018: minus 2,0 Punkte). Dies ist der bislang schlechteste Wert des Indikators seit Beginn der Umfrage Mitte 2013. Der langfristige Durchschnitt von 3,4 Punkten wird damit erneut deutlich unterschritten. Auch die Konjunktursituation wird mit einem Rückgang um 15,4 Punkte und einem Saldo von jetzt minus 19,3 Punkten erheblich schlechter bewertet als noch im Vormonat. Die Punktprognosen für das Wirtschaftswachstum in den Jahren 2018 und 2019 wurden ebenfalls weiter nach unten korrigiert. Für 2018 rechnen die Experten nur noch mit einem Wachstum von 6,4 Prozent. Für das kommende Jahr 2019 werden 6,2 Prozent prognostiziert.

Ein Vergleich mit der Umfrage vom Juni dieses Jahres zeigt, wie sehr sich die Einschätzungen verschlechtert haben. Damals wurden für 2018 noch 6,7 Prozent und für 2019 6,5 Prozent angenommen. Inzwischen liegen die Prognosen um jeweils 0,3 Prozentpunkte niedriger. „Die niedrigeren Werte bei den BIP-Prognosen zeigen das Ausmaß, in dem der Handelskonflikt mit den USA die chinesische Wirtschaft belasten könnte“, erklärt Dr. Michael Schröder, Senior Researcher beim ZEW und Projektleiter der CEP-Erhebung. Die Experten erwarten, dass der Staatskonsum zur Stützung der Konjunktur weiter steigen wird. Der entsprechende Indikator legt um 19,8 Punkte auf 11,4 Punkte zu. Fast im gleichen Maß erhöht sich auch die Prognose für die Inlandsverschuldung: Die Einschätzungen steigen um 17,7 Punkte auf einen aktuellen Wert von 11,4 Punkten an. Schröder resümiert mit einer Aussicht, die nachdenklich stimmen muss: „Möglicherweise ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die chinesische Regierung ihre konjunkturstützenden Maßnahmen aufgeben muss und die Konjunktur wegbricht.“

Solche und ähnliche Sorgen bewegen auch die Finanzmärkte – chinesische Aktien haben in den zurückliegenden Monaten deutlichen Kursverluste hinnehmen müssen. Dennoch hat die Deutsche Bank soeben eine Analyse vorgelegt mit dem Fazit: „Günstige Bewertungen könnten interessante Einstiegsmöglichkeiten bieten. Ausblick für Papiere aus dem Reich der Mitte positiv.“
Der Hang Seng China Enterprises Index (HSCEI) verlor von Anfang 2018 bis zum 14.11.2018 aus Sicht eines Euroanlegers rund 1 Prozent. Noch größer als beim HSCEI, in dem Finanztitel hoch gewichtet sind, waren die Verluste im eher technologielastigen MSCI China. Dieser gab im selben Zeitraum sogar rund 12 Prozent nach. Trotz der jüngsten Kursverluste sind die Aussichten für chinesische Aktien nach Einschätzung der Deutschen Bank weiterhin positiv. Die zuletzt gesunkenen Bewertungen könnten Anleger sogar interessante Einstiegsmöglichkeiten eröffnen.

Auch wenn es überraschen mag: Der Handelsstreit zwischen den USA und China spielt nur eine indirekte Rolle bei den jüngsten Kursverlusten im Reich der Mitte. Denn die Unternehmen des MSCI China erwirtschaften 84 Prozent ihrer Umsätze auf dem Heimatmarkt – das US-Geschäft macht lediglich rund 2 Prozent aus. Selbst wenn, wie von den USA angekündigt, sämtliche Importe aus China im Volumen von mehr als 500 Milliarden US-Dollar ab 2019 mit Zöllen belegt werden sollten, dürfte der direkte Effekt auf die Umsätze eher gering ausfallen.

Dass die Kurse in den vergangenen Monaten deutlich unter Druck gerieten, dürfte daher vielmehr auf die schlechte Investorenstimmung zurückzuführen sein: Dem Ausverkauf an den internationalen Aktienmärkten im Oktober konnten sich auch chinesische Papiere nicht entziehen. Auch die jüngsten Bewertungsabschläge sprechen für einen vorwiegend stimmungsgetriebenen Abverkauf: Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) im MSCI China liegt auf Basis der Gewinnerwartungen für die nächsten zwölf Monate aktuell bei rund 10 und damit unter dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre. Die Erwartungen der Analystengemeinde an die Unternehmensgewinne für die kommenden zwölf Monate stimmen mit +15 Prozent hingegen optimistisch.

Für entsprechend risikobereite Anleger, die eine Verbesserung der Börsenstimmung erwarten, könnten sich dadurch interessante Einstiegsmöglichkeiten ergeben. Zumal eine – von der Regierung in Peking gewollte und gesteuerte – moderate Verlangsamung des Wirtschaftswachstums im kommenden Jahr bereits ebenso in den Kursen eingepreist zu sein scheint wie die Unsicherheit bezüglich des US-amerikanisch-chinesischen Handelsstreits. Eine Annäherung der beiden Parteien im Rahmen des G-20-Gipfels am 29. November könnte demzufolge für eine spürbare Entspannung sorgen. Zusätzliches Vertrauen in den chinesischen Aktienmarkt sollten die jüngst von der Regierung beschlossenen geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen schaffen.

Machen Sie also weiter mit – und machen Sie’s gut