Rezessionssorgen: Null-Zinsen auf Dauer: Pro Aktien, contra Anleihen

09.03.19

Für Börsianer kommt es jetzt knüppeldick: Parallel zu den Beschlüssen der Europäischen Zentralbank mehren sich von allen Seiten schlechte Konjunkturnachrichten. Nur eines ist sicher – die Unsicherheit. Das gilt vor allem für kurz- bis mittelfristige Anleger, gilt für die Taktik im laufenden Jahr. Längerfristig wird die Favoritenstellung der Aktie gefestigt, während man Anleihen generell abhaken kann (von einzelnen Teilmärkten abgesehen).



Bezeichnend, dass fast zur gleichen Zeit wie die EZB-Beschlussfassung auch andere Meldungen die zunehmende Konjunkturskepsis bestätigten oder noch verstärkten. So sind die Ausfuhren Chinas im Februar so stark eingebrochen wie seit drei Jahren nicht mehr und nähren die Sorge vor einem Schwächeanfall des Wirtschaftsriesen. Und die deutsche Industrie hat überraschend zu Jahresbeginn einen Auftragseinbruch erlitten. Das Neugeschäft ging im Januar um 2,6 Prozent zum Vormonat zurück, wie das Bundeswirtschaftsministerium mitteilte. Ökonomen hatten mit einem Zuwachs von 0,5 Prozent gerechnet.

Mario Draghi zeigt klare Kante. Keine Sensation, aber für die meisten Akteure an den Finanzmärkten zumindest in dieser Form eine Überraschung, teilweise auch eine Enttäuschung. Aus Anlegersicht haben die Ankündigungen vom Donnerstag zwei Seiten: Null-Zinsen und hohe Liquidität ohne Ende sind gut für die Aktienmärkte, sind zugleich aber Ausdruck ernster Sorgen wegen drohender Rezessionsgefahren.

Unterschiedlich die spontanen Reaktionen der Bank- und Investmentstrategen. EZB-Chef Mario Draghi enttäuschte die Märkte gestern gleich doppelt, heißt es bei der Deutschen Bank. Denn die Wachstumsprognosen für die Eurozone wurden deutlich heruntergenommen, und die Details der erneut angebotenen langfristigen Finanzierungsmöglichkeiten für den Bankensektor blieben hinter den Erwartungen der Anleger zurück. Der Euro verlor 0,7 Prozent gegenüber dem US-Dollar, da auch die Inflationsprognosen für den Euroraum deutlich reduziert wurden – auf 1,2 Prozent im laufenden Jahr, 1,5 Prozent 2020 sowie 1,6 Prozent 2021.

ZEW-Ökonom Professor Friedrich: Die Zinswende wird zunächst einmal vom Herbst 2019 auf Anfang 2020 verschoben. De facto handelt es sich jedoch eher um einen Aufschub auf unbestimmte Zeit. Angesichts hoher ökonomischer Risiken und wachsender fiskalischer Unvernunft in wichtigen Hauptstädten der Eurozone ist die EZB nicht mehr frei in ihren Entscheidungen. Die Eurozone ist auf dem Weg in ein ungesundes Szenario der fiskalischen Dominanz. Die Geldpolitik muss dabei die Zinsen niedrig halten, um den Schaden einer unverantwortlichen Fiskalpolitik und fehlender nationaler Reformen für das Wachstum zu begrenzen.

Ifo-Präsident Clemens Fuest sieht die Geldpolitik der EZB an ihre Grenzen gekommen. „Die Reaktion der EZB auf die Abschwächung der Konjunktur in der Eurozone ist angemessen, vor allem die Ankündigung ausgedehnter Refinanzierungsoperationen für die Banken und das weitere Hinausschieben möglicher Zinserhöhungen. Es zeigt sich aber, dass die Geldpolitik ihr Pulver weitgehend verschossen hat.“ Und beim Research der DZ Bank heißt es knapp: „EZB wirft das Handtuch.“

Für Anleger werden die Konsequenzen des vorherrschenden Niedrigzinsumfelds immer dramatischer. Das untermauern Daten der Bank of America Merrill Lynch, nach denen sich die Verzinsung auf den globalen Rentenmärkten in den vergangenen Monaten stark in den negativen Bereich bewegt hat. Die Summe der negativ verzinsten Rentenpapiere hat sich zwischen Oktober 2018 und Februar 2019 weltweit um 2.500 Milliarden auf 8.300 Milliarden US-Dollar erhöht. Das sind nur 20 Prozent weniger als beim Höchststand von Juli 2016. Gerade in Deutschland betrifft diese Entwicklung die Anleger. Die Realrenditen in Deutschland werden 2019 im Minusbereich liegen. Zieht man die erwartete jährliche Inflationsrate in Höhe von 1,7 Prozent von den prognostizierten Zinserträgen ab, ergibt sich ein Realzins von - 0,1 Prozent. MainFirst-Fondsmanager Thomas Meier ist deshalb besorgt: „Um im aktuellen Umfeld positive Realrenditen zu erzielen, ist eine deutlich konsequentere Neuausrichtung der Portfolios in Deutschland notwendig. Aktuell machen Bargeld, Versicherungen, Altersvorsorge und ähnliche Anlagen im Schnitt 77 Prozent der deutschen Vermögensallokation aus. So können im vorherrschenden Zinsumfeld die Sparziele nicht erreicht werden.“ Einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma negativer Realrenditen bieten beispielsweise Aktien mit jahrelang stabiler bzw. hoher Dividende.

Jedenfalls sind die Börsen erst einmal zusätzlich verunsichert. Ich vermute, dass die Konjunkturunsicherheit vorerst die Erholung der Aktienkurse behindern oder gar deckeln wird. Europa verliert für internationale Investoren, so sie kurzfristig denken, nicht nur wegen Brexit und Italien an Attraktivität (siehe Euro-Schwäche). Andererseits gibt es nach wie vor keine Konkurrenz für Aktien – es müssen ja nicht unbedingt europäische sein. Ich gehe von zunehmender Volatilität der Aktienkurse aus, was das Interesse an kurzfristigem Trading fördern sollte. Außerdem bleibt das Stockpicking gerade in einem nervösen Konjunkturumfeld besonders interessant.

Machen Sie also weiter mit – und machen Sie’s gut!