MEIN CREDO

Eine neue öko-soziale Marktwirtschaft


29.05.19

Mein letzter Beitrag für den TM Börsenverlag soll den Aktienmarkt in einen größeren gesellschaftlich-politischen Rahmen stellen. Nach den jüngsten Europa-Wahlen und angesichts des sich ausbreitenden Konflikts zwischen Volksparteien und der jungen Generation greife ich dazu auf mein Büchlein „Vom Raubtierkapitalismus zur Planwirtschaft?“ aus dem Jahr 2012 zurück (ISBN 978-3-942888-95-0). Sein Ausblick gilt im Großen und Ganzen gestern wie heute. Deshalb im Folgenden der Originaltext des letzten Kapitels.



„Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“ Das sympathische Zitat von Max Frisch mag angesichts der dramatischen Entwicklungen seit der Jahrtausendwende, insbesondere seit 2008 da und dort auf Ablehnung stoßen, weil die Kapitalvernichtung einerseits und die unfassbar gestiegene Staatsverschuldung andererseits katastrophal anmuten – zumindest ist die Sorge gewachsen, eine internationale Wirtschaftskatastrophe rücke näher.

Hat der unermüdlich sich zu Wort meldende Heiner Geißler etwa Recht mit seiner These "Kapitalismus ist so falsch wie Kommunismus"? Muss man seiner Diagnose zustimmen, die er wie folgt zusammenfasst: „Kapitalismus und Globalisierung werden zu Recht in einem Atemzug genannt. Aber die notwendige Auseinandersetzung zielt nicht gegen die Globalisierung, die unabänderlich ist, sondern auf die Wirtschaftsideologie des Kapitalismus, der die Chancen der Verschmelzung von Märkten und Informationsflüssen gefährdet und zerstört. Demokratische Entscheidungen werden durch die Diktatur der internationalen Finanzmärkte ersetzt. Drei Milliarden Arme haben zusammen jährlich ein geringeres Einkommen als die 400 reichsten Familien der Erde an Vermögen besitzen und die Kluft zwischen arm und reich wird immer größer. Die Menschen werden zu Opfern einer Shareholder-Value-Ökonomie, die keine Werte kennt jenseits von Angebot und Nachfrage, die Spekulanten begünstigt und langfristige Investoren behindert. Die Staatsmänner der westlichen Welt lassen sich von den multinationalen Konzernen erpressen und gegeneinander ausspielen: Die Menschen spüren die Folgen einer Wahnidee, die schon in den zwanziger Jahren die Weltwirtschaftskrise verursachte, nämlich des Irrglaubens, die Gesetze und Selbstheilungskräfte der Märkte würden alle Probleme von selber lösen.“

Man muss Geißler nicht in allem folgen. So ist ein richtig verstandener Shareholder-Value-Ansatz nicht automatisch unsozial. Auch das in der Politik parteienübergreifend verbreitete Verurteilung der Finanzmärkte weckt Widerspruch, denn nicht die Märkte selbst sind die Schuldigen, sondern die Akteure, welche – zu mächtig geworden – die Märkte im Sinne eines Raubtierkapitalismus skrupellos manipulieren um abzusahnen.

Angela Merkel hat in einer ihrer wichtigen Reden 2011 über die sich zuspitzende Euro-Krise, die ich lieber eine „kombinierte Banken-Staatsverschuldung-Finanzmarktkrise“ nenne, bemerkenswert klar analysiert: „Wir brauchen mehr klare Regeln für die Finanzmärkte. Die Finanzmärkte und die Banken waren sicherlich nicht die alleinigen Ursachen, aber sie waren Brandbeschleuniger der Krise. Wir haben Gier erlebt, wir haben Zockerei erlebt, wir haben Kasino-Kapitalismus erlebt. Das alles ist das Gegenteil von sozialer Marktwirtschaft.“

Eines ist sicher: Wir befinden uns im Übergang zu einer neuen Wirtschaftsordnung. Die sich häufenden Finanz- und Schuldenkrisen haben Dimensionen erreicht, die zunehmend unfassbar geworden sind. Spätestens seit 2008/2009 wissen wir, dass sie immer stärker unsere volkswirtschaftliche Basis bedrohen, die Güterwirtschaft. Nicht nur einzelne Mitgliedsländer der EU sind insolvenzgefährdet – der Euro selbst ist in Gefahr, der Währungsverbund und die Europäische Gemeinschaft insgesamt.


Globalisierung und Digitalisierung haben gravierende, leider aber gegensätzliche Folgen. Denn die vernetzten Finanzmärkte wurden dadurch immer schneller, komplizierter, während sich die Entscheidungsprozesse internationaler (europäischer) Politik naturgemäß verlangsamt haben. Ergebnis: Die Politik will zwar handeln, ist aber viel zu langsam, ist eindeutig überfordert. Wir stehen vor einer Kapitalismus-Krise. Niemand sollte die Demonstrationen vor den Börsen (Occupy-Bewegung) einfach abtun! Ich teile die Meinung derer (Wissenschaftler wie Politiker), die von einem Paradigmenwechsel sprechen: Es haben sich neue Gesetzmäßigkeiten und Verhaltensweisen entwickelt mit der Folge, dass die Kräfte der Selbstkontrolle und des Wettbewerbs nicht mehr ausreichend wirken. Es sieht gleichzeitig so aus, als sei die Rückbesinnung auf ethische Grundprinzipien und traditionelle soziale Werte entwickelter Völker ohne staatliche Eingriffe nicht mehr möglich.


Da zudem der Erhalt unseres Lebensraums die wohl wichtigste Mega-Aufgabe dieses Jahrhunderts sein wird, sehe ich so etwas wie eine „neue ökologisch-soziale Marktwirtschaft“ am Horizont – etwa im Sinne von Heiner Geißler. Eine Planwirtschaft wird es nicht sein. Es kann auch nicht darum gehen zu versuchen, durch immer neue Regeln und Gesetze von einer Re-Regulierung zu einer kontraproduktiven Über-Regulierung zu kommen – diese Gefahr liegt leider auf der Hand. Die Finanzmärkte müssen aber mehr denn je die ordnungspolitischen Zügel des Staates spüren. Nicht steuerliche Maßnahmen oder Verbote neuer Finanzinstrumente wären zielführend, sondern zum Beispiel die (am besten freiwillige) Abschaffung der grenzenlosen Boni-Systeme im Investment Banking. Überhaupt wäre es dringend an der Zeit, Programme zu entwickeln, die man mit „Zurück zu mehr Langfristigkeit“ überschreiben könnte. Wir brauchen, das kann gar nicht laut genug betont werden, funktionstüchtige Kapitalmärkte und nicht immer heißere Software gestützte Plattformen für professionelle Zocker. Wir brauchen florierende Aktienmärkte und besonders in Deutschland wieder viel mehr private Aktiensparer und -anleger – Millionen haben seit sich seit 2000 von der Börse frustriert verabschiedet.


Der populäre Professor Max Otte fordert „Mehr Marktwirtschaft, mehr Fairness“. Und der amerikanische Star-Ökonom Nouriel Roubini beschreibt dabei den Widerspruch: „Damit die freien Märkte besser funktionieren können, brauchen wir mehr Staat, nicht weniger.“

Die Globalisierung schreitet unaufhaltsam voran. Auf diesem Weg sollte uns der zunehmende Wettbewerb mit den neuen Wachstumsländern helfen. Alles wird gut.
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PS.: Zum Abschied möchte ich Ihnen, geschätzte Anlegerinnen und Anleger, drei Empfehlungen mit auf den weiteren Weg geben. Zunächst: Vor jeder Entscheidung über Geldstrategien sollte Ihre selbstkritische Erforschung stehen. Definieren Sie Ihre Ausgangslage, Ziele und Risikobereitschaft – und seien Sie dabei ehrlich zu sich selbst! Zweitens sollten Sie Ihre positiven Erfahrungen mit der Aktienanlage Verwandten, Freunden und Bekannten weiterreichen – werden Sie zu Botschaftern der Aktie! Schließlich empfehle ich mit voller Überzeugung, dem Rosenheimer Börsenverlag treu zu bleiben – Thomas Müller und sein Team leisten ganz hervorragende Arbeit und sind die idealen Begleiter der privaten Anleger!


Machen Sie also weiter mit – und machen Sie’s gut!
Ihr Hermann Kutzer