„Corona-Gewinner“ – ein zynisches Börsen-Unwort

 12.01.21

Auch wenn sich die Kommunikation der Börsenprofis im Zeitalter der Digitalisierung verändert hat – man schreit und gestikuliert auf dem Parkett (wo es das noch gibt) – schon lange nicht mehr. Stattdessen bedienen sich die Akteure der Elektronik, die neue (und extrem schnelle) Möglichkeiten für Handel und Abwicklung eröffnet hat. Doch gibt es immer noch Menschen, die miteinander sprechen. Dass 2020 die Pandemie mit ihren dramatischen Auswirkungen auf die ganze Welt und dabei auf die Volkswirtschaften und Aktienmärkte im Mittelpunkt gestanden hat, ist kein Wunder.

Deshalb kann auch das Ergebnis der Suche nach einem Börsen-Unwort nicht überraschen. Schon zum 20. Mal hat die Börse Düsseldorf für das zurückliegende Jahr das Börsen-Unwort recherchiert und kam natürlich nicht am alles überschattenden Thema vorbei: „Corona-Gewinner“ wählten die Börsen-Makler, Wertpapier-Händler und Handelsplatz-Mitarbeiter als besonders sprachkritischen Begriff, der 2020 häufig in der Finanzbranche und in den Medien verwendet wurde. Dicht dahinter folgten im Umfrageergebnis die „Zombie-Unternehmen“. Auf den weiteren Rängen sortierten sich die Börsen-Unwörter Staatseinstieg, Virtuelle Hauptversammlung und Dividendenstopp ein.

Begründung: Nachdem die Finanzmärkte im Frühjahr als Folge zunehmender Covid-19-Fallzahlen und erster Lockdown-Maßnahmen um bis zu 40 Prozent eingebrochen waren, konnten einzelne Branchen unter den neuen Rahmenbedingungen starke Nachfragesteigerungen mit rasanten Zuwächsen beim Aktienkurs verzeichnen. „Der Begriff Corona-Gewinner wurde an der Börse schnell gängig für die Krisen-Profiteure etwa in den Geschäftsfeldern Lieferdienste, Videokonferenzen, oder Streaming/Gaming“, erläutert Börsengeschäftsführer Thomas Dierkes. Diese Unternehmen hätten sicher viel richtiggemacht und auch Mut in der Krise gezeigt. Auf der anderen Seite gäbe es aber auch viele Corona-Verlierer, die keine substanziellen Fehler gemacht haben und trotzdem oftmals in ihrer Existenz bedroht oder auf staatliche Hilfen angewiesen sind. „Der Erfolg sei allen gegönnt, die mit der richtigen Idee, zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren. Doch gefeiert zu werden als Profiteure eines externen Ereignisses mit so weitreichenden Folgen für Wirtschaft, Gesellschaft und Gesundheit, erscheint mindestens zynisch.

Das Team der Börse Düsseldorf ermittelt seit 2001 im jährlichen Rückblick das Börsen-Unwort. Die Wahl erfolgt in Anlehnung an die 1991 ins Leben gerufene sprachkritische Aktion des Germanisten Prof. Dr. Horst Dieter Schlosser. Die bisherigen Düsseldorfer Börsen-Unwörter lauten: „Finanztransaktionssteuer“ (2019), „America First“ (2018), „Bitcoin Boom“ (2017), „Anlagenotstand“ (2016), „Zinswende“ (2015), „Guthabengebühr“ (2014), „Billiges Geld“ (2013), „Freiwilliger Schuldenschnitt“ (2012), „Euro-Gipfel“ (2011), „Euro-Rettungsschirm“ (2010), „Bad Bank“ (2009), „Leerverkauf“ (2008), „Subprime“ (2007), „Börsen-Guru“ (2006), „Heuschrecken“ (2005), „Seitwärtsbewegung“ (2004), „Bester Preis“ (2003), „Enronitis“ (2002) und „Gewinnwarnung“ (2001).

Übrigens: Ich hätte für „Unsicherheit“ als Börsen-Unwort votiert. Denn es ist ein banales Wort, das von Analysten und vor allem von Finanzjournalisten in ihren Marktkommentaren geradezu inflationär eingesetzt wird – obwohl Börsen per se immer unsicher sind. Vielleicht wäre Unsicherheit deshalb auch der richtige Begriff für ein „Börsen-Unwort des Jahrhunderts“…