Die Zeit nach dem Krieg

 06.03.22

Putin bleibt unberechenbar. Deshalb wird sich auch für die Kapitalmärkte so schnell nichts ändern. Als am vergangenen Donnerstag erste Meldungen über eine zeitweise Feuerpause und „humanitäre Korridore“ durchsickerten, habe ich lange gegrübelt und beschlossen, ganz weit nach vorn zu blicken – auf die Zeit nach dem Krieg. Weit verfrüht, wie wir inzwischen wissen. Zwar bleibt die Hoffnung, dass auf der diplomatischen Ebene möglichst rasch Fortschritte erzielt werden. Sie, geschätzte Anleger, sollten aber ihre vorsichtige Haltung nicht aufgeben.

Was heißt das? Noch keine neuen Empfehlungen für Ihr Portfolio. Vielmehr sollte jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten Solidarität mit der Ukraine praktizieren – und Hilfe leisten. Für uns selbst kommt es kurz- bis mittelfristig darauf an, die wachsenden Energie- und Rohstoffprobleme (Verknappung und Verteuerung) zu lösen. Dazu passt für private Anleger, den Cash-Anteil hochzufahren: Geld & Gold sind angesagt.

Anlagestrategen weisen darauf hin, dass Europa und vor allem Deutschland weiterhin in großem Umfang russisches Öl und Gas beziehen. Kurzfristige Alternativen dazu gibt es kaum. Die USA haben zwar ihre Flüssiggas-Lieferungen nach Europa auf ein neues Hoch gesteigert, liegen damit aber am Rand der Kapazitätsgrenze. Deutschland und Europa sind abhängig von den Energielieferungen aus Russland. Im nächsten Winter würde es große Probleme für Haushalte und Industrie geben, wenn Russland als Gegenmaßnahme seinerseits Sanktionen einführt und die Öl- und Gaslieferung stoppt. Die aktuell stark steigenden Energiepreise an den Weltmärkten spiegeln die Furcht vor Liefer- und Versorgungsengpässen wider. Die ökonomischen Auswirkungen dieser Entwicklung sind momentan schwer abschätzbar. Es ist klar, dass die Preise für Öl und Gas angesichts der Unsicherheit an den Märkten auf Sicht weiter steigen werden. Bis zu welchem Punkt, das ist jedoch von mehreren Faktoren abhängig. Im Moment zeichnet sich nach Einschätzung von DJE Kapital ab, dass wir in Deutschland mit bis zu 6 Prozent Preissteigerung für 2022 rechnen müssen.

Wie werden die Notenbanken in Europa und den USA auf diese Entwicklung reagieren? Kommt es zu den erwarteten Zinsanhebungen? Der geldpolitische Kurs der US-Notenbank Federal Reserve liegt klarer auf der Hand als der der EZB. Es bleibt wohl trotz der aktuellen geopolitischen Verschärfung bei dem erwarteten Kurswechsel in der Geld- und Fiskalpolitik. Ob die Federal Reserve dabei tatsächlich sieben Zinsschritte machen wird, wie von manchen erwartet, bleibt abzuwarten. Dies gilt auch für die Frage, ob es Zinserhöhungen im Euroraum geben wird und wie stark sie ausfallen. Die Belastungen für die Wirtschaft durch die Folgen des Krieges spielen dabei eine Rolle, denn sie haben Einfluss auf die Spielräume für Zinserhöhungen. Die Inflation wird fast ausschließlich von den Energiepreisen getrieben.

Aktien werden nach Überzeugung vieler Fondsmanager und Vermögensverwalter langfristig (!) ein ganz wichtiger Bestandteil im Depot bleiben. Denn die Zinsen werden voraussichtlich nur moderat nach oben gehen. Zugleich ist mit einer strukturell höheren Inflationsrate zurechnen. Diese Konstellation spricht für reale Werte und damit auch für Aktien. Allerdings ist die Zeit stetig steigender Börsen vorbei. Dies gilt besonders für die deutsche Börse. Hier belasten die erwähnten Faktoren voraussichtlich über längere Sicht. Aber generell sollte man sich von Krisen und Kurseinbrüchen nicht zu sehr schrecken lassen, denn die Aktienmärkte haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sie nach Kurseinbrüchen immer wieder zurückkamen. Ihr stärkstes Wachstum zeigten sie oft unmittelbar nach einer Krise. Nur ein Beispiel: Nach den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 fiel der MSCI World auf Euro-Basis um -11,0%. Nur sechs Monate danach hatte der Index die Verluste nicht nur aufgeholt, sondern war um 23,1% gestiegen. Ähnlich verhielt es sich jüngst auch mit dem Corona-Einschnitt im Jahr 2020.