Die Inflation wird zum Drama

 30.05.22

Der Mai endet nicht wonnig. Wieder einmal sind neue Wirtschaftsdaten (viel) schlechter als von den meisten Experten erwartet. Ob das die Börse weiterhin schluckt? Außerdem stellt sich die Frage, wie als Folge davon die bevorstehende Zinswende durch die Europäische Zentralbank konkret aussehen wird.

Die Inflationsrate ist bei erschreckenden 8 Prozent angelangt. Und von der Industrie kommen fast mutlose Nachrichten. Kann das ab Sommer wirklich besser werden? Das Statistische Bundesamt hat die vorläufigen Ergebnisse zur Entwicklung der deutschen Inflationsrate im Mai veröffentlicht. Die am Verbraucherpreisindex gemessene Inflationsrate ist diesen Berechnungen zufolge noch einmal kräftig von 7,4 Prozent im April auf 7,9 Prozent im Mai gestiegen. Spontaner Kommentar von ZEW-Professor Friedrich Heinemann: Die Inflation befindet sich jetzt nahe an ihrem Gipfelpunkt. Ab der Jahresmitte wird die Inflationsrate allein schon aus statistischen Gründen fallen, weil dann die kräftigen Preissteigerungen des ersten Halbjahres 2021 aus dem Vorjahresvergleich herausfallen. Auch wird sich die temporäre Senkung der Energiesteuern für Benzin und Diesel für die nächsten drei Monate preisdämpfend auswirken. Also können wir bald aufatmen?

Der Ökonom warnt: Dieser absehbare Rückgang der Inflation darf aber nicht als langfristige Entspannung missverstanden werden. Das EZB-Inflationsziel von 2 Prozent bleibt für Deutschland und die Eurozone in sehr weiter Ferne. Verbraucherinnen und Verbraucher werden mit weiter steigenden Preisen rechnen müssen, weil viele Vorprodukte unvermindert knapp sind und die Großhandelspreise immer noch dramatisch zulegen. Überraschend gute Arbeitsmarktdaten deuten zudem darauf hin, dass auch in Deutschland die gefürchtete Lohn-Preis-Spirale nun bald Fahrt aufnehmen könnte. Die inflationären Prozesse sind dabei sich zu verstetigen. Das wäre fatal, wird aber zunehmend wahrscheinlicher und dürfte überall Spuren hinterlassend. Auch an den Finanzmärkten.

Dicke Fragezeichen auch hinter den Erwartungen konjunktureller Erholung. Die deutsche Industrie glaubt im laufenden Jahr unter den Bedingungen von Ukraine-Krieg, Energie-Inflation und Lieferketten-Ausfällen noch an ein Wachstum der Produktion um knapp 2 Prozent. „Die Zunahme ist definitiv geringer, als wir uns das vor der russischen Invasion vorgestellt hatten", sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm am Montag zum Start der Hannover-Messe über das erwartete Plus im verarbeitenden Gewerbe. Dazu kommt, dass sich der Materialmangel in der deutschen Industrie nochmals leicht verschärft hat: 77,2 Prozent der Firmen klagten im Mai über Engpässe und Probleme bei der Beschaffung von Vorprodukten und Rohstoffen. Im April waren es 75,0 Prozent. Dies geht aus einer Umfrage des Ifo-Instituts hervor, das erläutert: Die Lieferketten stehen unter Dauerstress. Die Schließung von Häfen in China hat für viele Unternehmen die Situation weiter verschlechtert.