Ein Hoch auf die neue Aktienkultur

 27.05.22

Geldvermögensstatistiken sind eine trockene Materie, die vorwiegend von Fachleuten verarbeitet wird. Mich interessieren sie deshalb, weil sie auch Aufschluss über das Verhalten der privaten Anleger bieten. Die jüngsten Zahlen verringern meine Sorge, die gravierenden Belastungen für die Börse könnten die noch junge Aktienkultur in Deutschland schon wieder in Frage stellen: Sinkt die Risiko- und damit die Anlagebereitschaft, weil die Bundesbürger vorsichtshalber das Sparkonto bevorzugen? Nein, trotz steigender Zinsen und weiterer Risiken für den Aktienmarkt dürfte die zuletzt zu beobachtende „neue Aktienkultur“ in Deutschland intakt bleiben.

Das geht jedenfalls aus einer neuen Studie der DZ Bank hervor. Die Ausgangslage: Aufgrund der langen Phase extrem niedriger Zinsen hatten private Anleger zunehmend auf Wertpapiere gesetzt. Allein in der Zeit von Ende 2019 bis Ende 2021 stieg die Zahl der Wertpapierdepots um 4,4 Millionen auf fast 28 Millionen. Gleichzeitig erfreut sich die Anlage in Aktien und vor allem in Investmentfonds wachsender Beliebtheit. Legten die Privathaushalte 2019 noch rund 54 Mrd. Euro frisches Geld in diesen beiden Anlagekategorien an, waren es 2020 bereits 93 und im vergangenen Jahr dann 139 Mrd. Euro. Dabei ließen sich die Privatanleger auch nicht vom bereits sehr hohen Kursniveau abschrecken, sondern verlagerten das Gewicht 2021 stärker in Fonds. Hierzu hat auch beigetragen, dass immer mehr Bürger Fondssparpläne nutzen, um regelmäßig einen festen Betrag ihres Einkommens in Investmentfonds anzulegen. Fondssparpläne haben inzwischen bei vielen privaten Haushalten die früher beliebten Banksparpläne abgelöst.

Trotz kriegsbedingter Aktienkurseinbrüche Anfang März fiel die Neuanlage in Fonds im ersten Quartal des laufenden Jahres zwar schwächer aus, blieb insgesamt aber positiv. Getragen wurde die erfreuliche Entwicklung vor allem von Investmentfonds. Das bestätigt die Einschätzung der Banker, dass die neue Aktienkultur in Deutschland ein nachhaltiger Trend ist. Stabilisierend auf den Trend wirken, dass viele der verstärkt jungen Erstanleger zu einem Zeitpunkt eingestiegen sind, als das Kursniveau noch niedrig war. Außerdem wird vor allem in ETFs, Aktien- und Mischfonds investiert wird, die eine breitere Risikostreuung bieten. Die neue Aktienkultur dürfte dazu beitragen, dass der massive Geldanlagestau bei den privaten Haushalten im laufenden und im nächsten Jahr spürbar verringert werden kann.

Das ist aber nur eine Zwischenbilanz. Wie werden sich die Privatanleger verhalten, wenn die Zinswende nach oben durch die Europäische Zentralbank eingeleitet wird (dauert nicht mehr lang)? Und was machen die Privathaushalte, wenn die geopolitischen und weltwirtschaftlichen Probleme noch zunehmen, vor allem, wenn der Ukraine-Krieg noch weiter eskalieren sollte? Die langfristige Aktienförderung bleibt also eine für alle Beteiligten wichtige Aufgabe – unabhängig von der aktuellen Kursentwicklung.