Noch blenden viele Anleger ihre Angst aus

 23.06.22

Auch wenn die Korrelation der unterschiedlichen Anlageklassen an manchen Börsentagen erstaunlich hoch ist (alles im Gleichschritt rauf und runter), gehen die marktbestimmenden Investoren durchaus nicht die gleichen Wege. Die Volatilität der Tageskurse erschwert deshalb auch den perspektivischen Blick. Selbst die regelmäßigen Untersuchungen der Verhaltensökonomen lassen Fragen offen. Bemerkenswert, wie ein Teil der Anleger nach wie vor gelassen bleibt. Dazu passt, dass die Hoffnung auf festere Aktienmärkte im zweiten Halbjahr nicht zerstört worden ist.

So berichteten die Sentiment-Analysten an der Frankfurter Börse nach ihrer dieswöchigen Befragung, dass die Angst vor einer Rezession bei der Mehrheit der Investoren noch nicht angekommen zu sein scheint bzw. ausgeblendet wird. Auf den ersten Blick könnte man also meinen, dass diese Ängste offensichtlich unter den Kommentatoren und Analysten stärker ausgeprägt sind als bei vielen Anlegern. Andererseits spricht der neuerliche Einbruch der Aktienkurse trotz der Gewinnmitnahmen einiger heimischer institutioneller Investoren während der vergangenen beiden Wochen dafür, dass langfristig orientierte Akteure (auch aus dem Ausland) der Eurozone den Rücken gekehrt haben.

Dass gerade aus dem Kreis der Analysten nachvollziehbare Argumentationsketten kommen, belegt die heute vorgelegte Betrachtung der Helaba. Das Research der Frankfurter sieht im globalen geldpolitischen Straffungszyklus den Hauptbelastungsfaktor und ergänzt: Die Rezessionsängste sind weiter auf dem Vormarsch. Die Kursrückgänge am Aktienmarkt sind breit angelegt und weit fortgeschritten. Hoher Pessimismus spricht dafür, dass schon viel Negatives vorweggenommen wurde. Und als Ergebnis: Aufgrund moderater Bewertungen ist das Chance/Risiko-Verhältnis inzwischen attraktiv.

Die Strategen der Deutschen Bank liefern leise Zuversicht von einer historisch-statistischen Seite: Die Marktbewegungen im ersten Halbjahr 2022 an der Wall Street könnten rekordverdächtig werden, sollte es in den kommenden Handelstagen keine starke Erholung geben. Beispielsweise hat der S&P 500 in den USA bis Ende vergangener Woche seit Jahresbeginn 22,3 Prozent verloren. Letztmals verzeichnete der US-Markt im Jahr der Großen Depression 1932 mit minus 45 Prozent einen höheren Verlust im ersten Halbjahr; 1962 kam mit minus 22,2 Prozent nahe an 2022 dran. Hoffnung könnte jedoch die Tatsache spenden, dass auf die bis dato fünf schlechtesten ersten Halbjahre des S&P 500 jeweils ein äußerst starkes zweites Halbjahr folgte. In vier dieser fünf Jahre gewann der Markt mehr als 17 Prozent, im fünften 10 Prozent hinzu.

1932 erholte er sich in der zweiten Jahreshälfte gar um 56 Prozent. Noch beeindruckender ist indes die Wertentwicklung zehnjähriger US-Staatsanleihen; diese verloren zuletzt im Jahr 1788 prozentual stärker an Kurswert. Für Anleihen dürfte das Umfeld auch im zweiten Halbjahr schwierig bleiben, erwarten die Deutschbanker.

Und von prominenter Schweizer Seite kommen eher skeptische Stimmen. So schreiben die Asset Manager von UBS: Aktien sind aus Bewertungssicht immer noch unattraktiv. Die Gewinnschätzungen der Analysten sind so hoch, dass Spielraum für Absenkungen bei einer wirtschaftlichen Abkühlung besteht, auch ohne Rezession. „Die Vergangenheit zeigt, dass Risiko-Assets (also Aktien) erst dann eine Talsohle erreicht haben, wenn es eine positive Wende bei den Einkaufmanagerindizes des verarbeitenden Gewerbes gibt oder die Notenbank wieder expansiver wird. Beides sehen wir kurzfristig nicht.“

Unterm Strich: Basierend auf den Kriegsfolgen und der sich zuspitzenden Energiekrise bestätigt das meine kurz- bis mittelfristig eher bärische Haltung gegenüber dem (europäischen) Aktienmarkt.