Der Börsenhorizont verdunkelt sich noch

 18.09.22

Wie geht’s weiter? Börsenprofis neigen berufsbedingt zu Optimismus. Deshalb haben sich die Märkte im bisherigen Jahresverlauf besser gehalten als das wirtschaftliche und politische Umfeld – trotz zeitweiser beträchtlicher Kursverluste bei Aktien und Anleihen. Geblieben ist stimmungsmäßig die Tendenz, Hoffnungsschimmer am Horizont auszumachen. Als hartnäckiges Mitglied des Bullen-Lagers habe auch ich seit Monaten versucht, betont langfristigen Anlegern für Dax & Co. Mut zu machen. Diese Haltung unterbreche ich hier und heute. Denn ich befürchte, dass die unberechenbaren Risiken bisher noch unterschätzt werden – Ukraine-Krieg und Folgen, Energiekrise, Inflation, Rezession etc. Zwar breitet sich seit dem jüngsten Zinsschritt der Fed nicht nur an der Wall Street gewisse Skepsis aus. Doch werden Entwicklungen mit negativem Vorzeichen immer noch weniger gewürdigt als umgekehrt (vermeintlich) positive Signale in festere Aktienkurse umgesetzt.

Zur konjunkturellen Lage und den Perspektiven hat das Research der DZ Bank jetzt eine ungewöhnlich konkrete, detaillierte Prognose mit Blick auf das kommende Jahr erstellt. Diese unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von anderen Analystenveröffentlichungen. Ich teile die Einschätzungen weitgehend und sehe darin auch Warnsignale für kurz- bis mittelfristige Aktienfans. Hier einige Auszüge:

Auch die USA und China haben mit großen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Der Ausblick für die Weltwirtschaft hat sich deutlich eingetrübt. Russland hat die Gaslieferungen nach Europa weitestgehend eingestellt und wird den Gashahn wohl auch nicht wieder aufdrehen. Entsprechend groß sind die Sorgen vor einem Konjunktureinbruch in Europa und allen voran in Deutschland. Die stark gestiegenen Gaspreise führen zu einer Selbstrationierung der Unternehmen beim Gasverbrauch. Dies beinhaltet, dass energieintensive Produktionsstätten, die unter den enorm gestiegenen Kosten nicht mehr rentabel betrieben werden können, vorübergehend stillgelegt werden. Die Kosten für die Bundesrepublik und die meisten anderen europäischen Staaten sind dennoch sehr groß: Produktionskürzungen, ein noch höherer Inflationsdruck, der den privaten Haushalten Kaufkraft raubt, steigende Zinsen und eine starke Verunsicherung von Unternehmen und Verbrauchern werden die Wirtschaft des Euro-Raums wohl in eine „ausgeprägte Rezession“ stürzen. Erst im Frühjahr 2023, wenn auch witterungsbedingt der Energiebedarf nachlässt und in diesem Zuge der Preisdruck etwas zurückgeht, wird voraussichtlich eine moderate Konjunkturerholung einsetzen. Im Jahr 2022 dürfte sich das Wirtschaftswachstum des Währungsgebiets – vor allem wegen der robusten Entwicklung im ersten Halbjahr 2022 – immerhin noch auf 2,6% belaufen. Für 2023 beziffert das DZ Bank Research aber einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 1,0%.

Die Inflationsrate im Euro-Raum – gemessen am Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) – ist im August von 8,9 auf 9,1% gestiegen und markiert damit ein neues Allzeithoch. Abermals lieferten die Energiepreise den größten Beitrag zum Preisanstieg. Die Inflationsrate wird in den nächsten Monaten noch weiter zulegen und auch im kommenden Jahr deutlich erhöht bleiben. Dies hängt aber auch von den wirtschaftspolitischen Maßnahmen in den Mitgliedsländern ab. Für 2022 wird mit einer Inflationsrate von 8,2% und für 2023 mit 6,1% gerechnet.

Und die Erwartungen für Deutschland? Nach einem Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts von 1,1% im laufenden Jahr rechnen die Analysten für 2023 mit einem Rückgang um 1,9%. Zeitgleich bleibt die Verbraucherpreisinflation mit 8,2% in 2022 und 6,4% in 2023 auf sehr hohem Niveau – ich ergänze: auf viel zu hohem Niveau.

Zugegeben, es muss nicht derart dramatisch kommen. Andererseits kann die volkswirtschaftliche Entwicklung sogar noch schlimmer ausfallen. Ziehen wir einen Strich unter der düsteren Prognose, dann drohen der Börse zumindest bis ins kommende Jahr hinein noch tiefere Kurse. Es sei nicht verschwiegen, dass manche Analysten eher glauben, dass das Schlimmste schon bald überwunden sei und deshalb die Börsenampeln bald wieder auf grün springen dürften. Da möchte ich allerdings Zweifel anmelden, denn ich sehe vor allem von der geopolitischen Seite noch zunehmende Risiken, weil der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine einerseits nun der Nato andererseits weiter zu eskalieren droht. Dazu kann sich ein neuer Ost-West-Konflikt entwickeln. Und innenpolitisch sieht die Lage auch nicht ermutigend aus, wenn man den Zoff in der Berliner Ampel und die Stimmung in der deutschen Bevölkerung beobachtet. Nein, lieber warne ich vor Übermut – es gibt jetzt wichtigere Investments als Aktien.