Die Börsianer werden überfordert

 25.09.22

Gute Nachrichten sind (nicht selten) schlechte Nachrichten für die Börse. Und umgekehrt. Es kommt aber auch vor, dass gute Nachrichten die Kurse nicht beeindrucken (nach oben oder unten), weil sie die vorangegangenen Erwartungen erfüllt haben. Sie waren bereits „eingepreist“. Andererseits können überraschende News heftige Kursausschläge auslösen, die (manchmal) schon nach kurzer Zeit wieder korrigiert werden. Alles klar? Das ist nur ein Teil der kursrelevanten Einflüsse, die Anleger – Profis und Private – im Auge behalten sollten.

In den vergangenen Wochen haben oft vermeintlich schlechte Meldungen wie z.B. die letzte Leitzinserhöhung der US-Zentralbank plötzlich steigende Märkte ausgelöst. Manchmal war es aber auch umgekehrt. So lösen zu gute Meldungen vom US-Arbeitsmarkt Marktkorrekturen aus. Woran liegt das? Die Gründe sind vielschichtig. So gilt der Grundzusammenhang, dass Inflationsbekämpfung aktuell das wichtigste wirtschaftspolitische Ziel ist. Deshalb wird alles, was inflationsdämpfend aussieht, also steigende Leitzinsen oder schwache Stimmungszahlen positiv am Aktienmarkt gewertet. Positive Frühindikatoren dagegen lassen Befürchtungen aufkommen, die Fed könnte noch länger restriktiver werden daher negativ gewertet, weil die Zinsen länger steigen und hoch bleiben. Schlimmer noch, nach der letzten Zinserhöhung, die mit 75 Basispunkten massiv ausfiel, begann der Rentenmarkt per Futures schon wieder niedrigere Zinsen für das Jahr 2023 einzuarbeiten, in der Annahme, dass die Wirtschaft durch hohe Zinsen schon zur Jahreswende in die Knie geht, und die Fed bei rezessionsartigen Tendenzen im kommenden Jahr schon wieder Zinsschritte zurücknehmen könnte.

Der Markt denkt also zwei Schritte voraus, schreiben die Strategen von Allianz Global Investors in einer Analyse zum Wochenende. Die Korrelation von Aktienmärkten und Rentenmärkten bleibt positiv. Soll heißen, fallende Zinsen und steigende Staatsanleihekurse sind auch positiv für die Aktienmärkte und umgekehrt. Damit kämpfen die Investoren in diesem Jahr, weil beide Marktsegmente negative Ergebnisse liefern und keine Diversifikationseffekte erzielt werden konnten. Die Worte von Fed-Chef Powell werden daher weiter auf die Goldwaage gelegt, wie man aktuell beobachten kann. Investoren wäre es am liebsten Powells restriktive Maßnahmen würden schnell Wirkung zeigen, damit der Spuk im kommenden Jahr vorbei ist. Aber so einfach wird es nicht sein. Eine Rückkehr zur gewohnten guten alten Geldpolitik mit niedrigen Zinsen wird es nicht so schnell geben. Einige Inflationstreiber könnten sich als hartnäckig erweisen. So kostet die Umstellung der Infrastruktur und der Produktion im Rahmen der Klimapolitik Geld und wirkt Kosten-treibend. Die Arbeitsmärkte bleiben eng, insbesondere in den USA aber auch in Deutschland kann die Lohnspirale nicht schnell gestoppt werden. Auch Immobilienpreise gehen zwar in eine mögliche Plateaubildung,

zeigen sich aber persistent, insbesondere im privaten Wohnungsbau. Die Lieferkettenprobleme weltweit beginnen sich leicht zu entspannen und Containerkosten fallen, aber wer als Industrie in den G7 Ländern keine Risiken mehr eingehen will, holt Vorprodukte in der Produktion zurück. Diese Repatriierung kostet Geld. Auch die Demographie mit immer weniger jungen Arbeitskräften lässt Lohnkosten strukturell steigen. Demgegenüber geben zyklische Kräfte wegen der von führenden Instituten antizipierten Wirtschaftsschwäche zur Jahreswende Hoffnung auf niedrigere Inflationsraten. Soweit die Investmentprofis.

Das klingt auch plausibel. Nur können Sie sich nicht blind darauf verlassen, geschätzte Anleger. Denn wir haben es ja mit einem ganzen Bündel von Krisen zu tun, die sich gegenseitig beeinflussen. Die inzwischen weit entwickelte Internationalisierung der Wirtschaft bringt es auch mit sich, dass nicht nur die Leitbörse New York auf andere Märkte ausstrahlt, sondern die Investoren bei uns auch nach Asien blicken – China, Indien und Japan. Damit wird das Börsenumfeld noch komplexer und komplizierter. Wer dennoch glaubt, die Tagestendenzen verstehen zu können, wird überfordert. Die Intra-Day-Kursschwankungen spiegeln das wider.