Der onvista-Börsenfuchs: Die Krisen-Krise

 05.09.22

Hallo Leute! Kennt Ihr eine Situation, wo wichtige politische Maßnahmen von den Betroffenen voll gelobt werden? Nee, gibt’s nicht. In einer parlamentarischen Demokratie ist es üblich, in jedem Fall zu Meckern: Es trifft die Falschen, kommt zu spät, ist zu wenig usw. Ganz leise hatte ich am späten Sonntag gehofft, dass die Ampel für ihr drittes Paket wenigstens teilweise Beifall kriegt. Dann kam aber noch die russische Gas-Bremse obendrauf. Inzwischen freuen sich die Medien, aus allen Lagern Stimmen der Besserwisser sammeln zu können. Und niemand regt sich darüber auf, dass die Krisennachrichten fast täglich zunehmen.

Heute ist so ein Tag. Schon früh kamen weitere Krisensignale, so unter anderem: Unternehmensstimmung im Euroraum trübt sich weiter ein, Euro fällt auf 20-Jahres-Tief, Aktienkurse beginnen schwach, Konsumstimmung in Deutschland hat sich im September noch einmal verschlechtert - eine Trendumkehr ist nicht in Sicht, es droht eine sehr tiefe Rezession. Geradezu deprimierend liest sich der neue (auf Umfragen basierende) Stimmungsbericht von Sentix: Die Rahmenbedingungen für die globale Konjunktur haben sich Anfang September weiter verschlechtert. Während in Europa schon länger die Vorzeichen auf eine beachtliche Rezession hindeuten, mehren sich nun auch die Anzeichen für eine entsprechende Entwicklung auf globaler Ebene. So verschlechtern sich die Sentix Konjunktur-Indizes für alle betrachteten Regionen und Länder. Der dritte Rückgang der Werte für China ist dabei von besonderer Wichtigkeit. Aber auch in der Eurozone vertieft sich das rezessive Umfeld weiter.

Puh, das klingt übel! Die Verschlechterung der Konjunktur in der Eurozone trägt inzwischen historisch einmalige Züge, berichten die international tätigen Frankfurter Sentiment-Forscher. Nie zuvor in der mehr als 20-jährigen Historie, mit Ausnahme der Finanzkrise im Jahr 2008, war die Lagebeurteilung der Anleger zur Euroland-Konjunktur so schwach – und die Erwartungswerte gleichzeitig ebenfalls so niedrig. Sehr wahrscheinlich hat bereits eine „erhebliche, rezessive Entwicklung“ eingesetzt. Denn die Konjunkturerwartungen sind ebenfalls erneut gefallen – auf den niedrigsten Stand seit Dezember 2008, als die damalige Finanzkrise nach dem Bankrott der Lehman-Bank ihren Höhepunkt erreichte. Resümiert Sentix: In der historischen Rückschau wird damit klar, dass die aktuelle Eurokrise Wirtschaftsverwerfung in ihrem Ausmaß den Zusammenbruch der Tech-Werte (2003), die Euro-Krise (2012) und selbst den Einbruch im Zuge der Corona-Lockdowns (2020) toppt: Wie tief die Wirtschaftskrise in der Eurozone ist bzw. zu werden droht, ist an der deutschen Volkswirtschaft „leider einfach“ zu erkennen. Denn die Konjunkturerwartungen sind auf ein Allzeit-Tief gefallen! Dies zeigt die gesamte Dramatik der aktuellen Krise: Die Lage ist schon schlecht, doch noch erblicken die Anleger kein nachhaltiges Licht am Ende des Tunnels.

Die These vom langfristig möglichen Silberstreif am Horizont finde ich nur beim Barings Investment Institute. Der Zwang zum Energiesparen kann das Verhalten für immer verändern. In zehn Jahren werden wir wissen, ob diese Krise ein Wendepunkt war, der in die Geschichtsbücher eingeht. Fazit der Barings-Analysten: „Kurzfristig ist es wohl besser sich anzuschnallen.“

Jo, auch ich plädiere für Geduld. Kurzfristig wäre es aber wichtig, die chronische Besserwisserei abzulegen! Wir erleben gerade eine Krise der Krisen. Da kommt es vor allem darauf an, meine Freunde, von und mit den Krisen (leben) zu lernen. Vielleicht wird danach aus der deutschen Bevölkerung eine Ansammlung von Militär-, Atom-, Wirtschafts-, Handels-, Lieferketten-, Rohstoff-, Energie-, Währungs-, Zins-, Fiskal-, Pandemie- und Kompromiss-Experten …