KUTZERS CORNER

Don’t sell, don’t buy – wart’ ab im Mai! 

05.05.24

Nicht nur wegen des Börsenweisheit-Klassikers „Sell in May ...“ befassen sich Investmentstrategen jetzt mit den aktuellen Fragen der Anleger. Meine Antwort: Vorsicht, man sollte auch einmal aussetzen und zuschauen.

Aktien jetzt kaufen, halten oder lieber verkaufen? Stellen Sie sich selbst die Frage, geschätzte Anleger, wie Sie die vielen Sorgen der Wirtschaft und der Position Europas im globalen Wirtschaftswettbewerb einordnen. Man kann zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, die allerdings keine klaren Signale für kurz- bis mittelfristige Anleger senden. Das gilt erst recht, wenn man sich von der Berliner Ampel beeindrucken lässt. Denn die deutsche Politik ist letztlich auch für die Börse gefährlich geworden. Und jüngste Studien zeigen, dass der Standort Deutschland international bereits spürbar an Attraktivität verloren hat.

Trotzdem, in meinen Augen gibt es keinen Anlass zur Panik. Solange Jungunternehmer / Startups mit Eifer und Know-how neue Produkte entwickeln (jüngstes Beispiel: Trägerraketen mit Kerzenwachs-Antrieb!), muss der Optimismus für den Standort Deutschland nicht begraben werden. Dennoch wird alljährlich gefragt, ob der Mai nicht Zeit wäre, die Aktienquote herunterzufahren. Als Begründung kommt dann gerne die alte Börsenweisheit „Sell in May and go away“ hinterher. Auf den ersten Blick ist das gut verständlich, denn der Monat Mai war historisch betrachtet kein einfacher. Beispiel Dax: Von 1965 bis Ende 2023 wies er im Durchschnitt der Jahre tatsächlich eine negative Rendite auf.

Nicht auf „Börsenregeln“ verlassen

Doch namhafte Strategen wie Hans-Jörg Naumer von Allianz Global Investors warnen: „Als Fan des Philosophen Karl Popper bin ich mit Zwangläufigkeiten vorsichtig. Mit seinem 1944 erschienen und auch heute noch äußerst aktuellen Werk „Das Elend des Historizismus“ („The Poverty of Historicism“) hat er all‘ jene desavouiert, die zwangsläufige Entwicklungen vorwegzunehmen zu können glaub(t)en.“ Und tatsächlich: Beim MSCI Europa stimmt das dagegen schon nicht mehr. Hier waren die Renditen (seit 1970) im Durchschnitt leicht, ganz leicht positiv. Beim MSCI Welt (ebenfalls im Durchschnitt von 1970 bis Ende 2023) sogar sehr deutlich positiv. Ich teile Naumers Empfehlung: Wer über den Mai hinausschaut, sollte sich nicht auf Börsenregeln verlassen, sondern vor allem die aktuellen Markteinflüsse in den Blick nehmen:

Worauf es jetzt ankommt

Auf Seiten der konjunkturellen Entwicklung verstärkt sich eine Phasenverschiebung, die da heißt: Die Weltkonjunktur erholt sich, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. Bei der US-Ökonomie arbeitet sich ein „No Landing“-Szenario nach vorne, welches das bisher dominierende „Soft Landing“-Szenario mehr und mehr verdrängt. Sollte sich das „Soft Landing“ endgültig zum „No Landing“ verschieben, ist das zwar für Konjunktur und Unternehmensgewinne zunächst positiv, aber die geldpolitischen Konsequenzen könnten dann für eine Neubepreisung am Aktienmarkt sorgen. Ein Automatismus ist dies allerdings nicht.

Aber die Geopolitik! Während die Konjunktur Unternehmensgewinne und Bewertungen am Aktienmarkt stützen sollte, bleibt die Geopolitik eine echte „wild card“, die nicht prognostiziert werden kann. Mit (negativen) Überraschungen ist leider zu rechnen. Für mich bleiben die internationalen Konflikte und Kriegsrisiken die größte Gefahr für sie Aktienkurse.

Einfachheit die bessere Alternative

Auch andere Fragezeichen bleiben. Sollte der „durchschnittliche“ Privatanleger höhere Renditen bei modernen Instrumenten suchen? Nachdem über Jahre hinweg bestimmte Anlageformen nur professionellen Anlegern vorbehalten waren, sind in den letzten Jahren vermehrt sogenannte „alternative Investmentfonds“ entstanden, welche klassische Hedgefonds-Taktiken kopieren. „Damit soll auch ‚normalen‘ Anlegern Zugang zu all diesen angeblich gewinnbringenden Taktiken gewährt werden“, erläutert Thomas Grüner, Gründer von Grüner Fisher Investments. Doch wie erfolgreich konnten diese Fonds nun in der Realität agieren? Eine amerikanische Studie ist enttäuschend.

„Die Studie ergab, dass diese Fonds im Durchschnitt niedrige Renditen und eine geringe Volatilität aufweisen, wodurch sie sich nicht wesentlich von Anleihen unterscheiden“, analysiert Grüner. „Die Ausnahmen waren optionsbasierte Arbitrage- und systematische Trendfonds, die neben einer niedrigeren Rendite auch noch eine höhere Volatilität aufwiesen, also das Gegenteil von dem, was Hedgefonds erreichen wollen – eine Verbesserung des Rendite-Risiko-Profils.“ Hinzu käme, dass die durchschnittliche Korrelation dieser Fonds mit dem amerikanischen Aktienmarkt bei 0,7 gelegen habe und sie sich somit in der Regel eher mit dem Markt bewegt hätten als gegen den Markt. Diversifikation sehe anders aus.

Die Lehren aus der Geschichte

„Aus unserer Sicht versteckt sich eine wichtige Lehre in der Studie“, so Grüner. „Die schlichte Wahrheit ist, dass Hedgefonds immer wieder scheitern und schließlich aufgeben. In der Regel laufen sie ein paar Jahre lang gut, während ihre Strategie funktioniert, und implodieren dann, wenn ein anderer Trend anzieht.“ Ende 2018 seien viele Hedgefonds in Schwierigkeiten geraten, was fast dazu geführt hätte, dass die weltweiten Aktienmärkte in einen vollständigen Bärenmarkt gerutscht wären, als alle gleichzeitig ihre Positionen verkauften.

„Zum Glück brauchen Anleger jedoch keine teuren Taktiken, wenn Sie auf langfristiges Wachstum aus sind“, betont Grüner. „Viel besser geeignet sind die globalen Aktienmärkte mit all ihren Höhen und Tiefen. Recht hat er. Denn mit Geduld und Disziplin hat diese Anlageform schon immer einen wichtigen Beitrag zum Wohlstand geliefert. Für diejenigen, die Wachstum, aber weniger Volatilität auf dem Weg dorthin wünschen, gibt es natürlich die Anleihemärkte.

Dazu sei daran erinnert, dass es nicht schaden kann, wenn betont vorsichtige Langfrist-Investoren im Mai eine Pause einlegen. Man muss doch nicht fortlaufend handeln, also aus taktischen Erwägungen immer wieder kurzfristig ein- oder aussteigen. Eine Alternative ist also gerade im Mai: nichts tun