Anlegerverhalten: Börsenturbulenzen schrecken Bundesbürger ab

03.09.15

Es ist bisher nur Spekulation, dass die Zahl der privaten Aktionäre in Deutschland 2015 weiter abnehmen wird. Aber sie beruht auf entsprechenden Signalen diverser Untersuchungen. So wissen wir, dass die Finanzrepression mit einer anhaltenden Nahe-Null-Zinsphase die extrem auf Sicherheit bedachten Bundesbürger nicht davon abhält, zu viel und falsch zu sparen (Bankkonto, Sparbuch), statt ihr Kapital langfristig in Sachwerte zu investieren. Dieser Trend wird durch die stark gestiegene Volatilität der Kurse zusätzlich unterstützt. Wir wissen auch, dass nicht nur Schwächephasen, sondern turbulente Kursschwankungen viele Menschen abschrecken. Daher bleibt es auch, wie eine aktuelle Meinungsumfrage zeigt, bei den Defiziten in der privaten Altersvorsorge.

Das kurzfristige Verhalten der Anleger am deutschen Aktienmarkt ist nach wie vor nicht leicht zu interpretieren – ich erinnere nur an die überraschend bullische Mehrheit vom Mittwoch der vergangenen Woche (an diesem Tag werden die wöchentlichen Stimmungsumfragen der Frankfurter Börse kommentiert und veröffentlicht). Dieser Sentiment-Report stellt jetzt fest, dass trotz der (inzwischen wieder verlorenen) Kursgewinne die Bullen an ihren Long-Engagements festhalten, weil sie wohl noch im Minus sind. Wer kann, geht short. Insgesamt ein trübes Bild für deutsche Bluechips. Insbesondere die institutionellen Investoren sind mehrheitlich bullisch für deutsche Bluechips. 51 Prozent glauben an steigende Preise und damit so viele wie in der Vorwoche. 2 Prozent der Bären haben ihre Short-Engagements geschlossen. Das hebt die Stimmung leicht auf +18 Punkte an. Etwas anders sieht es bei den Privatanlegern aus, von denen weitere 8 Prozent nun bewusst auf fallende Kurse setzen und 3 Prozent ihre Aktien seit vergangenem Mittwoch verkauft haben.

Nach Ansicht des mit der Stimmungsbeobachtung beauftragten Verhaltensanalysten Joachim Goldberg reichten die Gewinne offensichtlich nicht für Gewinnmitnahmen aus, also müssten die Einstandspreise der bullischen Positionen ziemlich weit vom derzeitigen Kursniveau entfernt liegen, vielleicht bei 10.500/10.600 Zählern. Außerdem ließe sich daraus ableiten, dass die jüngste Dax-Schwäche ausländischen Kapitalabflüssen zuzurechnen ist. Das Fazit: „Der derzeitige Optimismus der heimischen Investoren dürfte sich zunehmend als Belastung für den Dax erweisen."

Was hat die Lebensqualität der Bürger mit dem Kapitalmarkt zu tun? Den Zusammenhang kann man in der neuen Allensbach-Umfrage „Generation Mitte 2015“ erkennen. Ein funktionierendes Bildungs- und Gesundheitssystem, Meinungsfreiheit und Rechtssicherheit sind für die 30- bis 59-Jährigen in Deutschland die wichtigsten Voraussetzungen für ein gutes Leben. In einer repräsentativen Allensbach-Erhebung im Auftrag der deutschen Versicherungswirtschaft zeigt sich die „Generation Mitte“ mit der Lebensqualität in Deutschland außerordentlich zufrieden: 91 Prozent bezeichnen sie als gut oder sehr gut. Positiv beurteilen die Befragten insbesondere das Sozialsystem, die wirtschaftliche Lage und die politische Stabilität. Gleichzeitig bleibt Deutschland aber auf wichtigen Feldern hinter den Erwartungen der „Generation Mitte“ zurück. Das gilt insbesondere für das Bildungssystem, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Chancengerechtigkeit und den sozialen Frieden im Land.

Aber jetzt kommt’s: Obwohl die „Generation Mitte“ dem Lebensstandard im Alter einen hohen Wert beimisst, kümmert sie sich nur unzureichend um ihre finanzielle Zukunftsplanung. Fast die Hälfte (48 Prozent) der 30- bis 59-Jährigen macht sich aber Sorgen, dass ihre Altersvorsorge nicht ausreicht. Unter den Befragten mit niedrigem sozioökonomischem Status sind es sogar zwei Drittel (67 Prozent). Drei von vier Befragten (73 Prozent) geben an, ihre finanzielle Zukunft gar nicht zu planen oder nur eine grobe Vorstellung zu haben. Nur eine Minderheit (41 Prozent) der Befragten rechnet damit, von den hohen Vermögenswerten zu profitieren, die in den nächsten Jahren und Jahrzehnten vererbt werden.

Solche Aussagen sind die Bestätigung früherer Erkenntnisse, dass die meisten Menschen zu kurzfristig denken und planen, dass die Risiken einer Altersarmut nach wie vor unterschätzt werden. Langfristige Sparpläne mit Aktien/Aktienfonds wären die beste Lösung. Deshalb hoffe ich mit meiner Sorge falsch zu liegen, dass die aktuelle Börsenentwicklung weitere Sparer vom Aktienmarkt abschreckt. Gerne zitiere ich bei dieser Gelegenheit aus einem Schreiben von H. S.: „Wenn man in sehr gute Aktien investiert, die stetig wachsen und Dividende zahlen, muss man auch Kursrückschläge aussitzen. Denn wer verkauft die Henne, die goldene Eier legt, nur weil alle anderen ihre Hühner verkaufen wegen eines Vogelgrippeausbruchs in China? Oder wäre Warren Buffett reich geworden, wenn er bei jedem Kursrückschlag seine Investments verkauft hätte? Die größten Börsengewinne sind mit sehr viel Sitzfleisch gemacht worden.“ Ich will dem Leser nicht widersprechen.

Neuer Aktienbrief: „Es hat sich nichts verändert“

Gerne weise ich Sie, geschätzte Leser, darauf hin, dass die neue Ausgabe des „boerse.de-Aktienbrief“ jetzt vorliegt. Herausgeber Thomas Müller gibt in seinem Editorial eine betont bullische Perspektive, die viele überraschen dürfte – hier ein Auszug: „Letztendlich hat sich am Umfeld der Aktienmärkte rein gar nichts verändert. Die großen Indizes tendierten monatelang ohne jede Dynamik seitwärts, wobei das Leitbarometer Dow Jones sogar schon seit Oktober in einer historisch außergewöhnlich kleinen Handelsspanne von nur 4% um die Marke von 17.650 Punkten pendelte. Wird eine solch zähe Seitwärts-Range durchbrochen, kommt es meist zu spektakulären Kursbewegungen, für die dann exogene Ereignisse als vermeintliche Auslöser herhalten müssen. Und kaum zu glauben: Nach meiner Prognose für den Verlauf von 2015 sollte der Dax im Januar das Jahrestief herausbilden und den Dezember auf Jahreshoch beenden, was noch immer möglich ist. Denn der Einbruch vom 24. August stoppte bei 9648 und damit oberhalb der Januar-Tiefs von 9.470. Dabei hatte der Dax vom August-Hoch (11.636) 17% verloren und seit den Rekordkursen vom April (12.375) satte 22%, womit nach unten eigentlich nicht mehr viel möglich sein dürfte.

Da Dax und Dow Jones jetzt deutlich unter ihren 200-Tage-Linien notieren und sich damit in klaren Abwärtstrends befinden, ist zwar Vorsicht angebracht, doch es gibt keinen Grund, an der Fortsetzung der Langfrist-Hausse zu zweifeln [ … ] Crash-Kurse sind Kaufkurse!“

Machen Sie also weiter mit – und machen Sie’s gut!