Börsenprognosen: Wenn den Profis die Orientierung verlorengeht

28.02.17

Die von den Experten lange angekündigte Volatilität ist im Februar an die Aktienmärkte zurückgekehrt – doch gilt dies nicht nur für die Kurse selbst. Auch die Einschätzung der Rahmenbedingungen für die Börsen von Ost bis West wird zunehmend uneinheitlich. Das heißt nicht, dass sich die Stimmung unter den marktbestimmenden Großanlegern spürbar verschlechtert hätte. Aber es tauchen immer häufiger Zweifel an den bisher gültigen Erwartungen hinsichtlich Konjunkturverlauf und US-Zinsentwicklung auf. Manche Strategen sprechen schon von einem Paradigmenwechsel, sehen aber zunächst einen anhaltenden Aufschwung.




Dazu passt, dass die Sentiment-Forscher von Sentix gerade jetzt feststellen: „Institutionelle Anleger ohne klare Aktien-Positionierung.“ Profi-Anleger werden eigentlich dafür bezahlt, durch eine klare Positionierung gegenüber ihrer Benchmark eine Outperformance zu erzielen. Doch aktuell ziehen sich viele institutionelle Anleger auf ihre Benchmarks in die „neutrale Ecke“ zurück. Dies ist eine ungewöhnliche Entwicklung und Ursache einer großen Orientierungslosigkeit – auf kurze und mittlere Sicht. Der Sentix Super-Neutralitätsindex, der die Irritation der Anleger auf kurze und mittlere Sicht in einem Inikator erfasst, erreicht mit mehr als 80% einen relativ hohen Wert. Nur drei Mal in den letzten acht Jahren, war eine noch höhere Unsicherheit bei den Anlegern feststellbar. Ein hoher Neutralitätswert bedeutet generell eine hohe Irritation und damit kommende Volatilität in den Märkten. Denn eine solche Gefühlslage ist für die Anleger nicht lange zu ertragen. Sie suchen aktiv nach einer Auflösung dieser Dissonanz. Und sobald diese gefunden ist, werden die Portfolien auf die vermutlich neue Tendenz ausgerichtet. Diese Neuausrichtung führt in der Regel zu deutlichen Bewegungen des Marktes weg vom aktuellen Status Quo.


Ich bin mir nicht sicher, ob die Skeptiker im weiteren Jahresverlauf Recht bekommen werden – aktuell bleibe ich gebremst bullisch. Typisch ist bei den jüngsten Analysen der Banken und Investmentfonds (die durchaus unterschiedlich ausfallen) eine zuversichtliche Grundhaltung, doch mit gewissen Einschränkungen. Beispiel: „Es zeichnet sich ein grundlegender Paradigmenwechsel ab“, meint Jens Wilhelm, Vorstandsmitglied von Union Investment. Die Normalisierung der Geldpolitik werde nach einer Dekade des permanenten Ausnahmezustands nicht ohne Friktionen ablaufen. Dennoch ist er optimistisch: „Die Aktienmärkte werden weiter von einer robusten Konjunktur getragen.“


Nach dem reinigenden Gewitter Anfang Februar sei der Weg frei für erneute Kursanstiege bei Aktien. In Verbindung mit spürbar anziehenden Unternehmensgewinnen zählt die Anlageklasse damit weiterhin zu seinen Favoriten.

Beim Dax hält er einen Zuwachs bis auf 14.000 Punkte zum Jahresende für möglich. Weltweit dürften die Unternehmen 15 Prozent mehr verdienen als noch im Vorjahr und die Aktienmärkte damit nach oben treiben. Unterstützung erwartet er auch von der anhaltenden Welle an Fusionen und Übernahmen. Noch sind die Zinsen niedrig und das M&A-Fenster damit weit offen. Das werden viele Unternehmen nutzen, erklärt er und ergänzt: „Die Repatriierung von im Ausland geparkten US-Geldern im Zuge der Steuerreform wird den M&A-Boom ebenfalls befeuern.“


Ein anderer typisches Beispiel für Zuversicht mit Einschränkungen liefern die Strategen der britischen Legal & General Investment Management – ihr Fazit: Konjunkturabschwung in USA noch nicht in Sicht. Inflations- und Lohnentwicklung deuten zwar auf Abschwung hin, Wahrscheinlichkeit einer Rezession für 2018 trotzdem gering. Und: Hinweise auf Überhitzung der Wirtschaft werden sich im Laufe des Jahres verdichten.


Für die internationalen Anleger stellt sich die entscheidende Frage, ob sich der US-Wirtschaftszyklus seinem Ende zuneigt. Die Stimmung an den Märkten schwankt tendenziell heftiger als die zugrundeliegenden Fundamentaldaten. Resümieren die Londoner Fondsmanager: „Wir glauben daher nicht, dass der Zyklus endet.“ Die Wahrscheinlichkeit einer Rezession im Jahr 2018 sei gering, dennoch trete die USA nun wohl in eine spätere Phase des Wirtschaftszyklus ein.


Wir in Europa sind ja später dran – insbesondere mit dem geld- und zinspolitischen Normalisierungsprozess. Deshalb empfehle ich Ihnen, geschätzte Anleger, nach wie vor Gelassenheit, aber zugleich verstärkte Wachsamkeit. Denn ein kursrelevanter Paradigmenwechsel – also eine grundlegende Veränderung des bestehenden Denk- oder Verhaltensmusters – ist nicht auszuschließen.

Machen Sie weiter mit – und machen Sie’s gut!