Aktienmärkte international: Zwischen Wirtschaftsboom und Finanzkrise

05.09.18

Was ich seit Monaten zunächst in Ansätzen beobachtet und beschrieben habe, ist jetzt eine klar erkennbare Realität geworden: zunehmende Differenzierung der Finanzmärkte, Börsen nicht mehr synchron. Dabei gehen die Aktienkurse nicht mehr im Gleichschritt, was Ihnen, geschätzte Anleger, die Taktik spürbar erschwert. Durch die Politik, insbesondere die Rolle des US-Präsidenten und seinen protektionistischen Kurs, kommen ständig neue nationale und internationale Elemente in das Gesamtbild: Was bedeutet das für uns, für Europa, China, die Schwellenländer etc.? Vereinfachend sehe ich jetzt aber auch die Möglichkeit einer Polarisierung – Wirtschaftsboom oder Finanzkrise – mit einer entsprechenden Konzentration der Anlageländer statt einer grenzenlosen Diversifikation.




Es kann nur als Zwischenbilanz gelten, wenn man heute feststellt, dass der deutsche Aktienmarkt inzwischen eine Phase der Kursschwäche signalisiert. Die Stimmung an der Börse ist angefressen, berichten Händler. Belastungsfaktoren bleiben vor allem die Schwellenländerkrise sowie die US-Handelskonflikte. Zunehmend wird im Handel auch auf das steigende Risiko eines harten Brexit verwiesen. Der Dollar zeigt auf breiter Front Stärke. Zum einen ist der Zinserhöhungstrend in den USA voll intakt, zum anderen erhält die US-Währung Zulauf als sicherer Hafen vor dem Hintergrund der Schwellenländerkrisen und der Unwägbarkeiten um die diversen Handelskonflikte. Was haben beispielsweise Argentinien, die Türkei, Indien und Indonesien gemeinsam? Ihre Währungen handeln nahe am Allzeittief zum US-Dollar, obwohl sie realwirtschaftlich von sehr unterschiedlichen Märkten abhängig sind. Amerika selbst entwickelt sich viel besser als vor einigen Monaten noch vorhergesagt wurde. Und der Boom sollte sich fortsetzen. Es gibt im Grunde „nur“ ein gravierendes Problem, das alle irgendwie berührt: Präsident Donald J. Trump.


Neue Konjunkturindikatoren sind spektakulär gut. Die US-Industrie boomt wie seit 2004 nicht mehr, hat im August überraschend noch mehr Schwung aufgenommen. Der Einkaufsmanagerindex stieg von 58,1 auf 61,3 Punkte im Juli, wie aus Firmenumfrage des Institutes for Supply Management (ISM) hervorgeht. Ökonomen hatten mit einem Rückgang auf 57,7 Punkte gerechnet. Das Barometer signalisiert bei mehr als 50 Zählern Wachstum.


Der andere Pol sind prominente Warnungen vor einer neuen globalen Finanzkrise. Dass beispielsweise der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, die Lage an den Finanzmärkten heute genauso gefährlich einschätzt wie zu Beginn der Finanzkrise vor zehn Jahren, hat in Fachkreisen einige Beachtung gefunden. Die Verschuldung der Schwellenländer mache das Finanzsystem heute "so verwundbar wie 2008 – wenn nicht noch mehr", sagte Trichet der
Nachrichtenagentur AFP. Mitte September 2008 hatte die US-Investmentbank Lehman Brothers Konkurs angemeldet und damit den Beginn der Finanzkrise markiert. "Es ist mittlerweile herrschende Meinung, dass die massive Überschuldung in den Industriestaaten ein wesentlicher Faktor für das Ausbrechen der Finanzkrise 2007 und 2008 war", sagte der heute 75-Jährige, der von 2003 bis 2011 Chef der EZB war. "Das Wachstum der Verschuldung, vor allem der Privathaushalte, hat sich in den Industrieländern zwar verlangsamt. Doch das wird wettgemacht durch die Verschuldung der Schwellenländer." Das mache das weltweite Finanzsystem insgesamt mindestens so verwundbar wie 2008, wenn nicht mehr.


Trichet war Präsident der EZB, als Lehman Brothers zusammenbrach. "Ich habe den wahren Beginn der Krise, die über der Welt zusammenbrach, schon am 9. August 2007 erkannt", sagte er. Am Morgen dieses Tages "hörte der Geldmarkt unter Banken komplett auf zu funktionieren". Anzeichen gab es schon vorher. Doch im Sommer 2007 wurde klar, dass die Spekulation mit US-Immobilienkrediten nicht nur US-Banken Probleme bereitet. Ende Juli konnte die deutsche Mittelstandsbank IKB nur mit staatlicher Hilfe in Höhe von mehr als 3 Milliarden Euro vor dem Kollaps gerettet werden. Sie hatte massiv in komplexe US-Finanzinstrumente investiert.

Wer als Privatanleger diese hier nur kurz skizzierten Pole ernst nimmt, sollte beispielsweise überprüfen, ob er seine Aktien nicht zu breit gestreut hat, ob er also den Aktienanteil nicht besser auf wirtschaftlich starke Länder beschränken sollte. Normalerweise fordern Anlageprofis von Privaten gerade eine stärkere Streuung von Risiken – man kann also auch in die andere Richtung blicken. Mein Fazit: Ähnlich wie beim Stockpicking auf nationalen Märkten ist es sinnvoll, unter den Schwellenländern nur auf jetzt schon starke Volkswirtschaften und Währungen zu setzen – und weiter der Leitbörse New York zu folgen.


Machen Sie also weiter mit – und machen Sie’s gut!