Aktienmärkte: Nicht jeder Kursrutsch wird zum Crash

13.10.18

Hatten Sie den Kursrutsch befürchtet (und sich darauf eingestellt) oder sind Sie überrascht worden, geschätzte Anleger? Bullen und Bären haben inzwischen ja genug Futter. Jetzt und in den kommenden Tagen hagelt es von allen Seiten Analysen und Prognosen, Stellungnahmen zu den Warnungen des IWF, zu den Tweets von Donald Trump, zu Wirtschaftswachstum, Inflation, Brexit, Italien – und natürlich zum aktuellen Stand des Handelskonflikts. Ich halte (noch) an meinem grundsätzlichen Optimismus fest: Fast alles ist jetzt möglich, aber ein schwerer Aktien-Crash unwahrscheinlich – dafür geht es der Weltwirtschaft und besonders den USA zu gut, ist die Inflation bisher ungefährlich, werden die weiteren Zinssteigerungen mäßig bleiben. Ein großes Risiko besteht allerdings für die Bondsmärkte.



Wie sind bei uns die Anleger vom Abwärtsstrudel erfasst worden? Der jüngste Stimmungsbericht von der Börse Frankfurt am Mittwochnachmittag gibt Aufschlüsse: Der Dax-Rückgang bis dahin hat die professionellen Investoren hierzulande nicht abgeschreckt – 19 Prozent haben Aktien gekauft, ebenso viele ihre Short-Engagements geschlossen. Der Sentiment-Index dieser Anlegergruppe schießt auf bullische +28 Punkte. Joachim Goldberg sieht darin aber keinen echten Optimismus, sondern Versuche, die eigene Performance durch Käufe und Verkäufe innerhalb der Dax-Preisspanne zu verbessern. Der Verhaltensökonom vermutet, dass rund ein Fünftel der Profis den Index in einer „nach unten geneigten Seitwärtsbewegung" sieht. Ganz anders die Privatanleger, von denen 3 Prozent Aktien verkauft haben und +9 Prozent short gegangen sind. Der Sentiment-Index dieser Gruppe liegt bei +7 Prozent deutlich darunter, insbesondere weil zuvor neutral gestimmte Anleger auf der Bärenseite Position bezogen haben. Hier könnte das schlechte Nachrichtenumfeld Wirkung zeigen.

Per Saldo ist der Mut einiger institutioneller Marktteilnehmer bemerkenswert und speist sich wahrscheinlich nicht aus fundamentalen Überzeugungen, sondern vor allen Dingen aus dem Erfolg der Transaktionen der Vorwochen, mit denen vielerorts vermutlich ein beachtliches Ertragspolster geschaffen wurde. Mit anderen Worten: Man kann es sich leisten, etwas zu riskieren.
Interessant auch die Beobachtungen des Deutsche-Bank-Chefstrategen Dr. Ulrich Stephan: „Investoren schichteten aus Wachstumswerten wie Technologie in Papiere mit günstiger Bewertung um – die „Risk-off“-Bewegung trieb sie zudem in defensive Dividendentitel. Darin zeigt sich die aus meiner Sicht übertriebene Marktreaktion. Denn das Kurs-Gewinn-Verhältnis des Stoxx 600 liegt mit 13,1 unter dem Schnitt der letzten fünf Jahre. Grund sind steigende Gewinne, aber auch Kursrückgänge: Der italienische FTSE MIB etwa ist mit minus 21,1 Prozent im Bärenmarkt. 

Chancen könnten weiterhin Minenwerte bieten, die günstig bewertet scheinen und von der
Nachfrage Chinas profitieren dürften. Auch Banken scheinen beim möglichen Auflösen der politischen Risiken und steigenden Kapitalmarktzinsen zunehmend interessant. Auch Industriewerte dürften von einer Entspannung im Handelsstreit profitieren.“

Außerdem haben technische Effekte haben den Abverkauf wohl verstärkt. Denn automatisierte Handelssysteme verkaufen bei Kursverlusten häufig, ohne die wirtschaftlichen Daten neu zu analysieren. Zudem dürfen viele US-Unternehmen vor der Berichtssaison keine eigenen Aktien zurückkaufen. Große US-Banken öffnen jetzt als erste die Bücher für das dritte Quartal, Unternehmensdaten rücken wieder in den Vordergrund: Ulrich erwartete für den S&P 500 im Schnitt Gewinnsteigerungen von knapp 26 Prozent zum Vorjahresquartal und rechnet für den Stoxx 600 mit plus 10 Prozent. Einige Gewinnwarnungen trübten die Stimmung der letzten Tage – insbesondere bei Tech-Aktien. Daher ist der 25. Oktober mit Berichten von Amazon, Microsoft und Alphabet sicher mitentscheidend für die Märkte.

Das Research von M.M. Warburg sieht es ähnlich: Die weitere Gewinnentwicklung wird entscheidend von den makroökonomischen Rahmenbedingungen bestimmt werden. Trotz bestehender Unsicherheiten gehen die Analysten davon aus, dass sich der Aufschwung in den USA fortsetzen wird. In Europa sind dagegen die konjunkturellen Risiken größer als in den USA. Fazit: „Für den Anleger bedeutet dies, dass man sich temporär defensiver positionieren und die Aktienquote zugunsten von Kasse reduzieren sollte. Unsere Modelle, die wir zur Steuerung der Asset Allocation verwenden, signalisieren jedoch nicht, dass eine zu starke Vorsicht angebracht ist. Für ein allgemeines „Game over“ an den Aktienmärkten ist es also hoffentlich zu früh.“

Das sehe ich auch so. Morgen werden wir den ganzen Tag auf dem 11. Rosenheimer Börsentag darüber diskutieren. Ich bin schon sehr gespannt, welche Haltung die Experten des TM Börsenverlags einnehmen!

Machen Sie weiter mit – und machen Sie’s gut!