Warum der Markt immer recht hat, oft aber nur für Sekunden

30.04.20

Angesichts der hohen Aktienkursschwankungen von Tag zu Tag oder sogar intraday (siehe heute Vormittag) heute eine Fortsetzung meiner Feststellung, dass es manchmal nicht leichtfällt, die aktuelle Marktentwicklung nachzuvollziehen. Trotz vieler Informationen. Llangjährige Börsianer und Beobachter diskutieren gerade wieder die Frage, ob der Spruch (noch) stimmt, dass der Markt immer recht hat. Mich erinnert das an einen englischen Freund, ein hochintelligenter Physiker in Diensten einer Hightech-Firma, der die Börse nicht verstehen konnte und mich vor Jahrzehnten einmal fragte: Wie kann es sein, dass Siemens heute um einige Milliarden wertvoller sind als gestern, obwohl überhaupt nichts passiert ist? Es entspann sich eine längere Diskussion.



Nie vergessen werde ich im gleichen Zusammenhang ein Erlebnis in Los Angeles, das ich eingedeutscht seither in meine Vorträge einbaue. Es liegt ebenfalls viele Jahre zurück (irgendwann in den 1980er). Der hochangesehene Key Note Speaker gewinnt am letzten Tag eines Profi-Investmentkongresses sofort die Sympathien der gut 2.000 Besucher. Es gibt Gedränge auf den Plätzen unmittelbar vor der Bühne, was den Redner lächelnd zum Appell veranlasst: „Hey, meine Freunde, lasst die alten Raucher ruhig hier nach vorne – die haben nicht mehr so viel Zeit und mich stört ihr Qualm nicht.“ Dann zieht er einen übergroßen Umschlag aus einer Tasche und sagt: „Guten Morgen allerseits, wir wollen heute mit einer kleinen Versteigerung beginnen.“ Atemlose Stille im Saal. Der Referent hält den weißen Umschlag hoch, der die dicke Aufschrift trägt ‚Billige Aktien‘: „Hier sind 100 Zettel mit den Namen von wirklich billigen Aktien drin. Was bietet Ihr für den Umschlag?“ Keiner sagt was. Man fragt sich, was er will. Dann holt der Redner einen zweiten gleichgroßen Umschlag mit der Aufschrift „Aktien, die steigen!“ hervor und zeigt den mit der anderen Hand: „Hier sind 100 Namen von anderen Aktien drin, und zwar Aktien, deren Kurse steigen werden – wer bietet für diesen Umschlag?“ Kurze Denkpause, dann tosender Applaus des Auditoriums.

Beide Erlebnisse sind eine Bestätigung einer Erkenntnis, die Anlegern nützlich sein kann: Zu wissen, welche Aktien steigen werden, ist viel wichtiger als zu wissen, ob Aktien als billig oder teuer gelten. Deswegen mag ich diese Attribute nicht. Wer wann was macht, gibt den Ausschlag (aber das wissen wir normalerweise nicht), weniger das Warum. Vergessen Sie auch nicht, geschätzte Anleger, dass die Kurse das einzig objektive Kriterium des Markts sind, in den auch Informationen, Meinungen, Stimmungen etc. einfließen. Die Kurse stimmen immer, der Markt hat also recht. Doch gilt das nur für den Augenblick der Kursfeststellung aufgrund von Angebot und Nachfrage – schon Sekunden oder Minuten später werden neue, andere Kurse ermittelt.