Sollte man gerade jetzt investieren?

 01.11.20

Eindringliche Worte von Berlins Regierendem Bürgermeister: Es geht jetzt darum, Kontakte zu vermeiden, es geht darum, zu Hause zu bleiben. Michael Müller hat es vorhin in seiner sonntäglichen Regierungserklärung zum bevorstehenden Teil-Lockdown nochmal auf den Punkt gebracht und um Verständnis geworben. Auf Kapitalanlagen übertragen gibt es kein Problem: Niemand muss im digitalen Zeitalter zu seiner Bankfiliale tippeln, um einen Wertpapierkauf oder -verkauf an der Börse in Auftrag zu geben. Anders gesehen: Viele Bundesbürger haben jetzt mehr Zeit fürs Geld ausgeben und Geld anlegen – daheim und online. Nur sollte jeder erst einmal nachdenken, was für ihn wichtig und sinnvoll ist. Kurzfristig geht es aber auch um die Wahlen in den Vereinigten Staaten und ihre (möglichen) Folgen auch für uns. Die Ergebnisse haben wir zur Wochenmitte. Sollte man vorher schon aktiv werden und spekulieren? Die Frage muss sich jeder von Ihnen selbst beantworten, geschätzte Anleger.

Im Grunde ist alles zur Wahl längst gesagt, was im Vorfeld gesagt werden kann. Der ungeduldige Privatanleger muss sich also nur der einen oder anderen Profi-Meinung anschließen. Das ist durchaus nicht leicht, weil sich selbst amerikanische Vordenker fast ausnahmslos nur mit Vorbehalten öffentlich äußern. Und als Europäer darf man das Thema mit dem höchsten Unsicherheitsgrad nicht aus dem Auge lassen: Wie wird der Dollar zum Euro reagieren?

Steht Amerika tatsächlich am Scheideweg, wie es Experten bei Lazard Asset Management beispielsweise beschreiben – und was heißt das für Wirtschaft und Börsen? Hier einige Ansichten, die auch mir plausibel erscheinen:

Die Einschätzung der kurzfristigen Reaktion auf jede Wahl ist sehr schwierig und letztlich nicht so wichtig. Was für die Investoren wirklich zählt, sind die längerfristigen Konjunkturperspektiven und vor allem die Aussichten für Unternehmen, Gewinne zu erzielen. Das wichtigste Szenario, das es aktuell zu berücksichtigen gilt, ist die Möglichkeit einer „Blauen Welle“ (blue wave), bei der die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus, im Senat und im Weißen Haus gewinnen. Somit geht es um mehr als Trump oder Biden. Eine ‚Blue Wave‘ könnte der Beginn einer großen strukturellen Verschiebung der Märkte sein könnte. Wenn die Demokraten Investitionen in Infrastruktur und Klimaziele in Höhe von 2 bis 3 Billionen US-Dollar frühzeitig Priorität einräumen würden, könnten wir einen fiskalischen Impuls erleben, der beispiellos für die Ära nach dem Zweiten Weltkrieg wäre. In diesem Szenario dürften die Wachstums- und Inflationserwartungen steigen und zu einer steileren US-Zinskurve führen. Wenn sich das Wachstum beschleunigt, wird sich die Erholung auf weitere Wirtschaftssektoren ausdehnen und den Anlegern eine größere Auswahl an Aktien bieten, die Erträge und Gewinne steigern können. Gleichzeitig implizieren höhere langfristige Zinsen höhere Diskontsätze auf künftige Cashflows, was die Bewertung von Unternehmen, deren Aktien von langfristig erwarteten Cashflows

angetrieben werden, im Vergleich zu Unternehmen mit kurzfristigen Cashflows drücken könnte. Dies könnte zu einer größeren Rotation von Growth-Titeln, die in der Zukunft möglicherweise hohe Erträge erwirtschaften, in Aktien von Unternehmen führen, die bereits hohe Erträge erwirtschaften. Dieses Szenario ist allerdings keine beschlossene Sache.

Eine solche Skizze sollte Ihnen, liebe Leser, in erster Linie die Komplexität im Vorfeld der US-Wahlen verdeutlichen. Das zusammen mit Corona und den Pandemie-Folgen für unsere Wirtschaft schafft ein extrem hohes Maß an Ungewissheit. Muss man als Privatanleger bis zum 3./4. November noch handeln? Seien Sie geduldig!