17.504 Infektionen vs. 14.753 Dax

 18.03.21

Auch nach den jüngsten Notenbank-Statements: Wir bleiben wenigstens für Monate in einem instabilen Dreieck von Wirtschaftswachstum, Geldpolitik und Inflation. Das liefert der Fachwelt – und damit auch den Börsen – immer neuen Diskussionsstoff. Dazu passt der zugegeben etwas abgegriffene Spruch „Nur eines ist sicher: die Unsicherheit“ (= übrigens das Derivat eines Zitats von Benjamin Franklin). Denn Corona wird die Welt so schnell nicht in Ruhe lassen und beeinflusst damit weiterhin alle möglichen (wirtschaftspolitischen und kursrelevanten) Weichenstellungen. Heute haben zwei Eckwerte für Deutschland ihren Anstieg fortgesetzt, wobei die Zahl der neuen Infektionen mit 17.504 den Stand des Dax mit 14.753 (Stand mittags) überholt hat. Wie kann das sein?

Da es für beide Werte keine natürliche Korrelation geben kann, beschäftigen sich die Experten mit den gestrigen Aussagen von Fed-Chef Jerome Powell. Dazu merkt die Deutsche Bank an: Zentralbanker gehören zwar üblicherweise nicht zu den Entertainern der (Finanzmarkt-)Welt. Doch starkes Wachstum anzukündigen, während gleichzeitig die Leitzinsen noch drei Jahre lang bei null bleiben, reichte schon mehr als aus, um die Märkte zu beruhigen. Die US-Notenbank erwartet 2021 jetzt 6,5 Prozent Wachstum – 2 Prozentpunkte mehr als im Dezember. Das geldpolitische Gremium der Fed (FOMC) ist auch etwas mehr in Richtung Leitzinserhöhungen gerückt, die Mehrheit sieht jedoch weiterhin 2024 als das Jahr des ersten Schritts weg von der Null. Die Marktteilnehmer waren im Vorfeld der Notenbanksitzung von Ende 2022/Anfang 2023 ausgegangen. Viele Händler atmeten auf und besonders zinsabhängige Branchen am Aktienmarkt erholten sich.

Kann die Börse auch gelassen bleiben, wenn ZEW-Ökonom Friedrich Zimmermann Recht behält: Anders als in Europa sorgen der Erfolg der US-Impfkampagne und das eher überdimensionierte 1,9-Billionen-Konjunkturpaket dafür, dass die Geldpolitik sich jetzt zurücknehmen kann. Für die US-Ökonomie zeichnet sich für den Herbst sogar bereits eine Überhitzungsgefahr ab. Mit der Eindämmung der Pandemie wird die aufgestaute Konsumnachfrage der US-Verbraucher in einen Nachfrageboom münden. Wenn sich dazu die vollen Wirkungen des Konjunkturpakets entfalten, könnte es bei der Inflation rasch ungemütlich werden.

Damit der Ausblick nicht zu einfach fällt, nennen die Vordenker der schweizerischen UBS Asset Management vier Kurven, die für eine globale konjunkturelle Erholung und risikobehaftete Investments sprechen: Impfkurve: Nach einem langsamen Start haben die weltweiten Impfungen gegen das Corona-Virus an Fahrt aufgenommen. Der Trend zu einer zunehmend steiler nach oben zeigenden Impfkurve ist ein Zeichen für einen beschleunigten Fortschritt in Richtung Normalisierung. Zinsstrukturkurve: Die Zinsstrukturkurven werden steiler, die Renditen kurzfristiger und langfristiger Anleihen driften stärker auseinander. Während eine expansive Geldpolitik das kurze Ende der Kurven niedrig hält, hat der starke Abverkauf von US-Treasuries und in der Folge auch von Anleihen anderer Industrieländer das längere

Ende nach oben getrieben. Den globalen Anstieg von langfristigen Anleiherenditen werten wir als zunehmende Überzeugung der Marktteilnehmer, dass ein starker synchroner Aufschwung in den entwickelten Märkten in den kommenden Quartalen zu erwarten ist. Rohstoff-Futures-Kurve: Kurven für Futures auf viele Rohstoffe befinden sich derzeit in Backwardation, etwa für Rohöl und Kupfer. Backwardation bedeutet, dass kurzfristige Futures teurer sind als langfristige. Das ist typisch für einen Markt, in dem die Nachfrage das Angebot übersteigt. VIX-Futures-Kurve: Im aktuellen, überschwänglichen Umfeld könnte die größte Angst bezüglich der Aktienmärkte der Mangel an Angst sein. Allerdings zeigen Futures auf den VIX-Index ein differenziertes Bild. Der Index spiegelt die implizite Volatilität für den S&P 500 wider und ist auch als „Angstindex“ bekannt. Die VIX-Futures-Kurve befindet sich derzeit am vorderen Ende in einem sehr steilen Contango, dem Gegenteil von Backwardation. Der Markt erwartet also in naher Zukunft ein deutliches Anziehen der Volatilität. Die Kurvenstruktur gilt als ein klares Signal, dass am US-Aktienmarkt keine Selbstgefälligkeit herrscht. UBS geht jedoch nicht davon aus, dass eine erhöhte Marktvolatilität lange anhält, wenn sich wie erwartet die Wirtschaftsaktivitäten beschleunigen und die Unternehmensgewinne wieder sprudeln. Ein Sinken der „Angstprämie“ könnte Aktien weiteren Rückenwind verleihen.

Wann aber geschieht was? Das Thema zeitliche Abfolge wirtschaftlicher Entwicklungen mit Folgen für den Aktienmarkt ist diesmal besonders komplex und kompliziert – wegen der Pandemie und ihren Folgen. Die begleitenden Prognosen werden immer wieder neu überdacht werden müssen. Wem das zu unsicher ist, sollte kurzfristig Zurückhaltung an der Börse üben oder andererseits seine Aktienpositionen nur betont langfristig weiter aufstocken.