19.10.21
Spekulation hat in aller Regel zwei Eigenschaften: Sie ist ganz konkret und kurzfristig. Zudem können auch aktuelle Nachrichten aus der Wirtschaft Erwartungen mit spekulativem Charakter auslösen – hier allerdings mit weiterem Zeithorizont. Dennoch sollten (potenzielle) Anleger prüfen, ob Argumente dabei sind, die jetzt schon für Aktion sprechen. Zum Beispiel durch Aktienkäufe. Bei der heutigen Veröffentlichung der Auftragsentwicklung durch das Statistische Bundesamt kam mir der Gedanke, dass man drei Schritte ohne genaue zeitliche Vorgaben festlegen kann, die dem deutschen Aktienmarkt langfristig den Rücken stärken sollten.
Nächstliegende Spekulation ist der hohe Auftragsbestand in der deutschen Industrie, der wegen der zunehmenden Lieferkettenprobleme und damit den knappen Rohstoffen und Vorprodukten wächst, weil er nicht abgebaut werden kann. Im August hat der preisbereinigte Auftragsbestand sein höchstes Niveau seit Einführung der Statistik im Januar 2015 erreicht. Im Vergleich zum Februar 2020, dem Monat vor dem Beginn der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie in Deutschland, war der Auftragsbestand kalender- und saisonbereinigt 21,7 % höher. Auch die Reichweite des Auftragsbestands hat sich weiter erhöht. Sie betrug im August im Verarbeitenden Gewerbe 7,3 Monate und hat ebenfalls einen neuen Höchststand seit Beginn der Zeitreihe erreicht. Bei den Herstellern von Investitionsgütern betrug sie sogar 10,2 Monate. Spekulation: Im kommenden Jahr wird es hier eine spürbare Entspannung mit entsprechenden Impulsen für Umsätze und Erträge geben.
Die zweite Spekulation ist eng damit verwandt. Hier geht es um das langfristige Wachstum der Automobilindustrie. Die Produktionserwartungen dieser für Deutschland so wichtigen Branche sind im September gestiegen. Das geht aus den Umfragen des Ifo-Instituts hervor. Die Auftragsbücher sind weiterhin voll, nur die Materialengpässe bereiten im Moment Probleme und dämpfen die Produktionspläne. Doch ist dies kein Dauerzustand. Darüber hinaus gelten unsere Autobauer als richtungsweisend und innovativ. Der im Gang befindliche Umstieg auf neue Antriebssysteme eröffnet enorme Wachstumschancen, zumal man weltweit auf ein extrem gutes Image bauen kann. Spekulation: Deutsche Kfz-Hersteller und Zulieferer werden in eine regelrechte Boom-Phase hineinwachsen.
Die dritte Spekulation hat einen für Deutschland geradezu revolutionären Charakter, ist aber am wenigstens konkret, denn sie basiert auf einer noch unsicheren politischen Weichenstellung: Nach Jahrzehnten der kontroversen Diskussionen wird die kommende Ampel-Koalition eine Rentenreform auf den Weg bringen, zu der eine „Aktienrente“ gehört. Damit greife ich der Regierungsbildung und zentralen Reformbeschlüssen vorweg. Eine Aktienrente, wie seit Ewigkeiten von Experten gefordert wird, würde die Nachfrage nach Aktien erheblich vergrößern und die Anlagekultur der Bundesbürger in der Breite entscheidend fördern. Aber: Hierfür einen Zeithorizont der Realisierung abzustecken, macht naturgemäß noch keinen Sinn.