Bullen und Bären bleiben im Clinch

 03.11.22

Stimmungsanalysen, Kursschwankungen, Trendprognosen? Von allem gibt’s reichlich. Nach wie vor. Auch nach den jüngsten Beschlüssen der Fed (Zinserhöhung wie erwartet). Ich habe mir diesmal börsenbezogene Reaktionen internationaler Investment-Häuser und Vermögensverwalter angeschaut. Das Resultat ist klar – klar unklar, also weiter uneinheitlich. Beide Lager, Bullen und Bären, beschäftigen sich intensiv vor allem mit den Notenbanken, deren Geldpolitik und den Aussichten für die Inflationsentwicklung. Doch sieht es so aus, dass mit Blick auf das nächste Jahr vorsichtige Zuversicht keimt.

Dazu schreibt mir die Zürcher Fisch Asset Management unter anderem Folgendes: Ein Soft-Landing in den USA und eine nur milde Rezession in Europa sind weiterhin ein Szenario mit hoher Wahrscheinlichkeit. Die deflationären Faktoren würden insgesamt für eine etwas weniger restriktive Geldpolitik der Zentralbanken sprechen. Sie dämpfen zumindest die langfristigen Zinsen, und ein Ende des Anstiegszyklus zeichnet sich daher ab. Aus Glaubwürdigkeitsgründen bleiben die Fed und EZB aber vorerst auf einem stark restriktiven Kurs. Für die Finanzmärkte und die Konjunktur ist dies weiterhin ein Belastungsfaktor, was auch durch die Frühindikatoren bestätigt wird. Es besteht deshalb weiterhin ein Tauziehen zwischen abnehmender Inflationsdynamik, die eine Lockerung der Geldpolitik erlaubt, und übertrieben restriktiven Notenbanken, die eine Rezession und monetäre Luftlöcher begünstigen. Ein Hoffnungsschimmer kam hier vor einigen Tagen, als verschiedene Vertreter der US-Notenbank ihre Besorgnis über zu schnelle Zinserhöhungen ausdrückten. An den Aktien- und Kreditmärkten ist deshalb eine temporäre Erholungsrally in den aktuellen Kursen eingepreist. Allerdings muss für eine langfristige Trendwende zuerst eine offizielle Änderung der Geldpolitik oder klare positive Überraschungen an der Inflationsfront abgewartet werden. Langfristige Opportunitäten zeichnen sich aber immer stärker ab und bei entsprechender Risikotoleranz kann ein schrittweiser Risikoaufbau im Portfolio bereits jetzt in Betracht gezogen werden. Wir halten nach Abwägung aller Faktoren trotzdem noch an einer defensiven Positionierung fest.

Auf den Faktor Zeit verweist auch der Londoner Vermögensverwalter Janus Henderson: Bei den Risikoanlagen ist Geduld gefragt. Die Aktienbewertungen erscheinen im Vergleich zu den Realrenditen von Anleihen immer noch hoch, und die Gewinnprognosen sind nach wie vor gefährdet, da die Geldpolitik wirkt und sich das Wachstum weiter verlangsamt.

Grüner Fisher Investments (GFI) wartet ebenfalls auf weitere Daten: Die zweite Schätzung des BIP für das dritte Quartal werde weitere Erkenntnisse liefern. Die Sanktionen und die Energieverknappung sind schädlich für die deutsche Wirtschaft, aber Deutschland hat viel dafür getan, dass das Ergebnis „besser als erwartet“ ausfallen wird, resümiert Grüner. Für die Aktienmärkte wird das Zahlenwerk bis dahin jedoch längst ein alter Hut sein. Deutsche und europäische Aktien seien im Jahresverlauf bereits unter die Schwelle von - 20 Prozent gefallen. Sie hätten eine „flache“ Rezession in gewissem Sinne mit einem „leichten“ Bärenmarkt ordnungsgemäß verarbeitet und würden sich der Zukunft widmen – wie immer. Diese werde von anhaltendem Pessimismus und Wirtschaftsdaten der Kategorie „robuster als gedacht“ umrahmt – das seien gute Voraussetzungen für eine spürbare Erholung.

Alles klar? Zieht man einen Strich drunter, so könnten zumindest die Mutigen unter den Privatanlegern ihre Aktienpositionen wieder erhöhen – und zwar in (eher kleinen) Schritten. Also betont vorsichtig. Außerdem würde ich nicht gleich einen ganzen Markt kaufen (Indizes über ETF), sondern gezieltes Stockpicking favorisieren.