KUTZERS ZWISCHENRUF

Börsen bleiben auf wackligem Boden

10.03.23

Das erste Quartal des neuen Jahres ist schon bald vorüber – und wie wird’s (voraussichtlich) weitergehen? Schon der Versuch, klare und überzeugende Prognosen zu finden, scheitert. Denn das Umfeld der Finanzmärkte lässt alle möglichen Interpretationen zu. Die Folge sind uneinheitliche Stimmungs- und Kursentwicklungen. Ich befürchte, das wird uns noch auf absehbare Zeit begleiten. Nicht vergessen: Nach den ersten Monaten 2023 ist gerade der Dax nicht mehr weit von seinem Allzeithoch entfernt. Er hat sich damit besser entwickelt als von den meisten Anlageprofis zum Jahreswechsel erwartet. Aktuell werden die Aussichten für Inflation, Geldpolitik und Konjunktur differenziert gesehen, in aller Regel mit vorsichtigem Unterton. Beispiele von diesem Wochenende im Folgenden (in Auszügen).

Bei Allianz Global Investors heißt es: Allerorten ist die Stimmung für die Wirtschaft pessimistisch – und das ist durchaus verständlich („Allerorten“ überzeichnet nach meinen Beobachtungen das Stimmungsbild). Überall sind Entwicklungen zu erkennen, die in der Regel mit einer Rezession assoziiert werden: eine rasche Straffung der Geldpolitik, Renditekurveninversionen, schwächelnde Immobilienmärkte, eine eingeschränkte Kreditvergabe der Banken usw. Knapp die Hälfte der US-Amerikaner glauben, ihr Land befinde sich bereits in einer Rezession. Gleichzeitig scheint die Konjunktur noch munter entlangzuschnurren. Das Konjunkturbarometer (GDP Tracker) der Atlanta Federal Reserve weist für das erste Quartal 2023 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von rund 2 % aus. Real (inflationsbereinigt) könnte der stärkste Anstieg der Konsumausgaben seit Mitte 2021 erzielt werden. Wie kann das sein? Erläutert AllianzGI: Die Überschussersparnis ist ein Grund für das anhaltend robuste Wachstum. Während der Pandemie haben viele private Haushalte die zur Konjunkturankurbelung gedachten staatlichen Unterstützungszahlungen sowie das Geld, das sie wegen der Ladenschließungen nicht ausgeben konnten, gespart. Studien der Federal Reserve und unseren eigenen Berechnungen zufolge sind so bis Ende 2022 wohl rund 1,2 Billionen Dollar (!) zusammengekommen.

Für die Strategen der Credit Suisse sieht der Fixed-Income-Sektor jetzt attraktiver als Aktien aus. Die Neubewertung der Zinserwartungen hat in den letzten Wochen sowohl die Aktien- als auch die Anleihenmärkte in Mitleidenschaft gezogen. Dennoch ist das Anlagekomitee der Meinung, dass diese parallel verlaufende Entwicklung der beiden Hauptanlageklassen nicht von Dauer sein wird. Im Aktiensegment schwächen sich das Gewinnwachstum und die Unternehmensmargen trotz des verringerten Rezessionsrisikos weiterhin schrittweise ab. Darüber hinaus bewegt sich die Gewinnrendite von Aktien nun sehr nahe an den Geldmarktsätzen, was bedeutet, dass die Anleger kaum für das eingegangene Aktienrisiko entschädigt werden. Das Anlagekomitee der Schweizer Bank bekräftigt daher seine untergewichtende Strategie, belässt die Allokation bei Industrieländeraktien „unter dem strategischen Niveau“. Schwellenländeraktien bleiben neutral gewichtet, hauptsächlich aufgrund des relativ starken Wachstums in China.

Auch die Dekabank differenziert die Lage der wichtigsten Anlageklassen: Anders als die Aktienmärkte haben die Rentenmärkte auf das veränderte Szenario spürbar reagiert, sodass jüngst wieder höhere Renditen für festverzinsliche Wertpapiere zu verzeichnen waren. Vor allem im kürzeren Laufzeitbereich legten die Renditen zu und unterstrichen die Inversion der Zinsstrukturkurve. Dies passt zu aktuellen Äußerungen von Fed-Chef Powell, dass die Notenbank zur Not eine echte Rezession der US-Volkswirtschaft in Kauf nehmen würde. Es dürfte freilich gelingen, bei einer moderaten konjunkturellen Erholung im Jahresverlauf nachlassende Inflationsraten zu erzielen. Vor diesem Hintergrund sind laut Deka erste Leitzinssenkungen im kommenden Jahr absehbar. In der Konsequenz spricht dies für attraktive Rentenmärkte bei leichten Renditerückgängen und nachgebenden Zinsaufschlägen für Anleihen mit geringerer Bonität. Die Aktienmärkte haben bereits Vorschusslorbeeren verteilt. Hier steht aller Voraussicht nach jedoch eine gute Dividendensaison an. In jedem Fall werden die Märkte in diesen geld- und geopolitisch spannenden Zeiten ungewöhnlich schwankungsanfällig bleiben.

Wie auch immer, stabile Trends zeichnen sich nicht ab. Dabei haben fast alle Strategen die Risiken des Ukraine-Kriegs und seiner möglichen weiteren Eskalation nicht ausdrücklich berücksichtigt. In meinen Augen sind damit aber die größten Gefahren für Börsen und die Wirtschaft allgemein verbunden. Deshalb sollten Sie, geschätzte Anleger, gründlich überdenken, ob Sie ausgerechnet jetzt Ihre Wertpapierbestände aufstocken wollen. Für manche ist Cash fürs erste die bessere Alternative, für andere physisches Gold (= mein Dauerfavorit).