Finanzmärkte: Börsen-Baisse gefährdet das Pflänzchen Aktienkultur

11.02.16

Wen hat es eigentlich schlimmer erwischt – den Dax oder den alten Börsenfuchs? Schwer zu beurteilen. Bei mir geht es jetzt langsam wieder aufwärts. Aber auch bei den Aktien ist die Erholung so sicher wie das vielzitierte Amen in der Kirche. Offen bleibt nur, wann und wie kraftvoll sie kommen wird und was bis zur Wende noch alles passiert. Weil der Dax unter 9.000 Punkte gerutscht ist und damit seit Jahresbeginn 17 Prozent eingebüßt hat, müssen wir fast fatalistisch feststellen: So schlecht sind deutsche Aktien noch nie ins Jahr gestartet. Argumente, die 2015 noch für steigende Kurse taugten, verkehren sich nun ins Gegenteil – eine Übertreibung? Wir werden erst mit zeitlichem Abstand den Crash in Raten besser erklären können.

Dennoch, und das macht die Bewertung der aktuellen Entwicklung nicht einfacher, werden von namhaften internationalen täglich neue Analysen und Prognosen präsentiert, die zuversichtlich für Aktien sind. Anhaltende Sorgen um einen globalen Abschwung dürften 2016 Chancen für Investoren eröffnen, sagt Philip Saunders, Co-Head of Multi Asset bei Investec Asset Management, denn: „Die Märkte haben sich in den vergangen Wochen verhalten, als stünde die Weltwirtschaft an der Schwelle zu einem globalen Abschwung, doch diese Sorgen sind übertrieben“, erklärt er. Weiteres Beispiel: „Ich denke schon, dass der Ausverkauf ein wenig übertrieben war“, sagt Andrew Wilson, Chef von Goldman Sachs Asset Management, in einem Interview. Schade, dass es nicht so etwas wie eine tägliche Aufstellung der größten Käufer und Verkäufer an den Aktienmärkten gibt.

Wer hat denn da verkauft? fragen sich auch die Sentiment-Analysten an der Frankfurter Börse in ihrem gestrigen Wochenbericht. Der Dax ist seit vergangenem Mittwoch noch mal 570 Punkte leichter geworden, also haben etliche Anleger verkauft. „Die von uns befragten hiesigen institutionellen Investoren mit eher mittelfristigem Anlagehorizont waren es aber nicht“, wird festgestellt. Denn 21 Prozent dieser Anlegergruppe sind in Dax-Aktien eingestiegen, 9 Prozent haben ihre Short-Engagements verkauft. Verhaltensökonom Joachim Goldberg ist überzeugt, dass sich neutral eingestellte Marktteilnehmer zum ersten Mal seit vier Wochen wieder als Käufer zurückgemeldet hätten. Die Gegenseite dieser bullischen Käufe seien mit einiger Wahrscheinlichkeit Abflüsse langfristigen Kapitals, auch ins Ausland.

Total überrascht, und zwar positiv, hat mich die neue Aktionärsstatistik des Deutschen Aktieninstituts (DAI). Die Zahl der Aktionäre und Aktienfondsanleger in Deutschland ist 2015 um 560.000 gestiegen. Insgesamt zählen wir damit in Deutschland gut 9 Millionen Menschen mit einem Aktieninvestment. Das entspricht 14 Prozent der Bevölkerung über 14 Jahre und damit dem höchsten Stand seit drei Jahren. Aber ist das auch ein neuer, nachhaltiger Trend? „Die Deutschen fassen wieder Vertrauen in die Aktie“, kommentiert Christine Bortenlänger, geschäftsführender Vorstand des DAI. Offensichtlich würden Anleger zunehmend erkennen, dass Aktieninvestments kurzfristig zwar mit Kursausschlägen nach oben und unten verbunden sein können. Langfristig trete dieser Nachteil jedoch zugunsten einer attraktiven Aktienrendite in den Hintergrund. Die Botschaft hör‘ ich wohl – aber ist das nicht Wunschdenken? Ich befürchte, dass die aktuelle Entwicklung deutsche Privatanlegern eher wieder abschrecken wird.

Dazu Fondsmanager Christoph Bruns, ein alter Hase und seit jeher ein Freund der Aktie: „Mein Optimismus für Aktien ist nicht kleiner geworden. Wohl aber der Optimismus, dass sich an der deutschen Aktienkultur etwas ändert. Einen Wandel werden wir hier wohl nicht mehr erleben. Das hat schließlich Strukturgründe.“ Eine neue Erhebung, gestern in Köln veröffentlicht, gibt ihm Recht: Während für die Deutschen bei der Geldanlage Anfang letzten Jahres ein Trend zu mehr Flexibilität zu erkennen war, steht aktuell das Thema Sicherheit wieder ganz klar an erster Stelle. Das ist ein Ergebnis einer repräsentativen Studie im Auftrag der Gothaer Asset Management AG (GoAM). Für 54 Prozent der Bundesbürger ist die Sicherheit wieder das entscheidende Kriterium bei der Geldanlage, im Vorjahr waren es mit 43 Prozent noch deutlich weniger. Flexibilität wünschen sich heute noch 31 Prozent, eine hohe Rendite ist nur für 8 Prozent wichtig. Dies spiegelt sich auch in der Auswahl der Anlageformen wider: 48 Prozent der Befragten lassen sich auch von niedrigen Zinsen nicht abschrecken und setzen auf das Sparbuch. Bausparverträge und Lebensversicherungen erfreuen sich ebenfalls großer Beliebtheit. Das Interesse an Lebensversicherungen hat sogar noch zugenommen, 34 Prozent der Deutschen setzen auf eine Kapital-Lebensversicherung, im Vorjahr waren es 30 Prozent.

Doch auch wenn die Deutschen es als zunehmend schwierig ansehen, ihre Ziele bei der Altersvorsorge zu erreichen, scheuen sie doch vor Veränderungen zurück. Nur 8 Prozent der Befragten planen, ihre Geldanlagen in nächster Zeit umzuschichten. 88 Prozent halten hingegen an ihrem bestehenden Portfolio fest. Dementsprechend ist auch die Risikobereitschaft wieder gesunken: Nur noch 19 Prozent der Befragten wären bereit, zugunsten einer höheren Rendite auch ein höheres Risiko einzugehen. 2015 waren es noch 24 Prozent.

Für mich sind das frustrierende Zahlen. Sie sehen also, geschätzte Aktien-Fans, wir müssen gemeinsam weiter hart an der Verbesserung der Anlagekultur arbeiten – konkret: an der Aktienkultur. Denken Sie also noch an meinen Appell „Aktien-Missionare“!

Machen Sie weiter mit – und machen Sie’s gut!