Finanzmärkte: Was kommt nach „Brexit“ oder „Bremain“?

23.06.16

Auch wenn die Mehrheit der Finanzmarktakteure zuletzt bereit war, eher auf einen britischen Verbleib in der Europäischen Gemeinschaft zu setzen – die Nervosität ist überall enorm, auch in weiten Teilen der produzierenden Industrie. Ich bin in dieser Woche von analytischen Versuchen und Planspielen aus Wirtschaft und Politik förmlich überschüttet worden. Auffallend dabei ist die zunehmende Sorge vieler Strategen, dass es selbst im Fall des allseits erhofften „Bremain“ nach kurzem Aufatmen eine längere Phase der Unsicherheit geben könnte, weil die Zukunft Europas ohnedies in Frage gestellt wird.

Heerscharen von Journalisten und anderen Beobachtern begleiten das heutige Referendum in der Londoner City. Agenturen berichten in allen Details über das praktische Geschehen: Fingerfood ist schon bestellt, die Hotelzimmer in der Nähe der Büros sind gebucht: Die weltgrößten Banken bereiten sich auf eine aufreibende Nachtschicht in den Büros und Handelsräumen nach der Abstimmung über den Austritt Großbritanniens aus der Union vor. Die Turbulenzen an den Devisen- und Anleihemärkten, aber auch im Aktienhandel dürften dann nur mit dem „Schwarzen Mittwoch" im September 1992 vergleichbar sein, an dem Großbritannien den Europäischen Wechselkurs-Mechanismus verließ, erwarten Banker. Nicht nur Devisen- und Bond-Trader selbst dürften ihre Büros in der kommenden Nacht nur für ein kurzes Nickerchen verlassen. Auch Führungskräfte bei Citi, der Deutschen Bank, HSBC oder Goldman Sachs sollen sich zumindest telefonisch in Rufbereitschaft halten, wie es in Finanzkreisen heißt.

Die ersten Abstimmungsergebnisse werden gegen 23.00 Uhr deutscher Zeit erwartet, das Endergebnis dürfte wegen des Kopf-an-Kopf-Rennens zwischen EU-Befürwortern und -Gegnern erst morgen früh vorliegen, kurz bevor in Europa die Märkte öffnen. Doch ein normaler Handelstag dürfte dieser Freitag nicht werden. Vor allem das britische Pfund steht im Fokus. Schon Umfragen reichen, um seit Wochen heftige Kursschwankungen auszulösen. Das könnte nicht nur die Computersysteme an ihre Grenzen bringen, auf denen gehandelt wird. Auch britische Notenbanker stehen bereit, notfalls noch in der Nacht einzugreifen.

Unsere Börse ist nach der Kurserholung in bemerkenswert guter Verfassung geblieben. Der Aktienmarkt folgt im Moment offensichtlich den britischen Buchmachern. Steigt die Brexit-Wahrscheinlichkeit, fallen die Preise und umgekehrt. Seit vergangenem Mittwoch hat der Dax wieder 480 Punkte gut gemacht. Das scheint vielen mittelfristig orientierten professionellen Anlegern zu reichen, heißt es im wöchentlichen Sentiment-Report von der Frankfurter Börse. 9 Prozent haben Dax-Aktien verkauft und 5 Prozent sind jetzt auf der Short-Seite. Die Marktstimmung ist mit +25 Punkten aber immer noch deutlich optimistisch. „Verfrühte Erleichterung gepaart mit Risikoscheu" attestiert Verhaltensökonom Goldberg den Anlegern. In der Haltung der Privatinvestoren hat sich kaum etwas geändert. 2 Prozent haben ihre Short-Positionen glatt gestellt – das war's. Der Sentiment-Index dieser Anlegergruppe steht mit +21 Punkten nur leicht unter dem der Profis.

Goldberg erkennt in dem Verhalten der Investoren eine Asymmetrie zugunsten der Optimisten, mit der Folge, dass eine „Erleichterungsrally", falls Großbritannien in der EU bleibt, bereits teilweise vorweggenommen sei. Das bremse einen stärkeren Aufwärtstrend des Dax bei „vermutlich 4 bis 5 Prozent" über dem heutigen Stand durch Gewinnmitnahmen. Sollte es zu einem Brexit-Entscheid kommen, würde das alle Bullen unter Druck setzen, und zwar prozentual erheblich größer als ein Remain-Ergebnis.

Nun, das kann so kommen, aber auch anders. Und selbst 5 Prozent mehr als aktuelle Dax-Niveau wären doch eine gute Basis für eine Wiederaufnahme des langfristigen Aufwärtstrends. Beim Brexit hingegen muss man sich auf alles gefasst machen, also selbst einen lauten Crash, wobei dieser dann den Auftakt einer längeren Schwächephase von Wirtschaft und Börsen bilden könnte. Ich bleibe bei meiner gelassenen Vorhersage: Die Briten bleiben in der EU.


Vermögensaufbau langfristig planen

Thomas Müller vermutet, dass die Börsen nach der Brexit-Entscheidung relativ schnell wieder zur Tagesordnung übergehen dürften. Im Editorial der neuen Ausgabe des „boerse.de-Aktienbrief“ schreibt der Herausgeber und Verlagschef: „So wird das Thema an unserem 9. Rosenheimer Börsentag (16. Oktober, bitte jetzt anmelden!) vermutlich keine große Rolle mehr spielen. Viel bedeutender sind die ganz grundsätzlichen Überlegungen zum Depotaufbau und damit strategische Anlageentscheidungen, die über Tagesereignisse hinaus den Erfolg Ihres Portfolios bestimmen. Überlegen Sie einmal: Welchen Wert hätte wohl Ihr Aktiendepot im Jahr 2026, wenn Sie die nächsten zehn Jahre – abgeschnitten von der Außenwelt und allen Kommunikationsmöglichkeiten – auf einer einsamen Insel verbringen müssten?

Sofern Sie ein entsprechend unserer Aktienbrief-Strategie nach Branchen und Ländern diversifiziertes Champions-Portfolio besitzen, wird sich Ihr Vermögen per saldo sehr erfreulich entwickelt haben. Denn bei 12% Gewinn p.a. verdreifacht sich ein Depot binnen eines Jahrzehnts, bei 15% jährlich wächst das Investment um das Vierfache und bei 18% p.a. um den Faktor fünf! Je nach Zusammenstellung könnte
es innerhalb des Depots aber zu stark auseinanderlaufenden Wertentwicklungen kommen. Denn Sie wissen: Ein bedingungsloses Buy-and-Hold in Champions wie beispielsweise Apple oder amazon.com kann, muss aber nicht funktionieren. Denn „aufregende“ Technologieunternehmen stehen für die spekulativste Branche im Champions-Pool, während „langweilige“ Defensiv-Champions aus dem Bereich Getränke, Lebensmittel & Tabak und dem nicht-zyklischen Handel & Konsum aufgrund dauerhafter Wettbewerbsvorteile langfristig nahezu Gewinn-Garanten sind. Hier geht es niemals um spektakuläre Gewinne, sondern um spektakulär konstante Unternehmens- und damit auch Aktienkursentwicklungen.“


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