KUTZERS ZWISCHENRUF (exklusiv auf hermannkutzer.de)

Lieber ein bisschen als nichts

10.02.23

Wohin will die Börse? Gerade jetzt fällt die Antwort besonders schwer. Denn Stimmung und Kursentwicklung sind nicht identisch. Und beide Lager (Bullen und Bären) haben gute Argumente. Deshalb müssen Sie sich selbst entscheiden, geschätzte Anleger: Kaufen, halten oder verkaufen? Meine Empfehlung: Treffen Sie keinen einseitigen Beschluss, sondern „mischen“ Sie auch hier (nicht nur bei der Aktienauswahl) die Möglichkeiten. Dabei sollten Anlagevolumen und geplanter Anlagezeitraum ebenso berücksichtigt werden wie Ihre persönliche Anlagephilosophie (vor allem die Risikobereitschaft).

Achten Sie einmal darauf: Profis veröffentlichen ganz selten glasklare Positionen und Prognosen. Meist werden Einschränkungen mitgeliefert, mit denen die Aussagen relativiert werden. Ein Beispiel aus der Schweiz, wo die Credit Suisse jetzt folgendes abgesteckt hat: Angesichts dieser schwachen Gewinnaussichten und der drohenden Rezessionsgefahr „bevorzugt das Anlagekomitee mit Blick auf Aktien eine gewisse defensive Positionierung“ in den Portfolios. Taktische Stimmungsindikatoren sprechen ebenfalls für eine vorsichtige Einschätzung von Industrieländeraktien und zeigen an, dass die Märkte mittlerweile kurzfristig überkauft sind. Das Anlagekomitee hat deshalb seinen Entscheid von Anfang Januar bekräftigt, als es Schwellenländeraktien auf Neutral angehoben und Industrieländeraktien unter dem strategischen Niveau belassen hat.

Die Strategen von M.M. Warburg & Co. beschäftigen sich in einer neuen Studie ebenfalls mit diesen Fragen – Titel: „Krieg, Inflation und Rezession: Warum man trotzdem Aktien nie komplett verkaufen sollte“. Resümee: Einen ernsthaften handwerklichen Fehler begeht man aber dann, wenn man (wie hier unterstellt und getestet) anfängt, binäre Entscheidungen zu treffen und entweder zu 100% oder zu 0% investiert zu sein. Solche Entscheidungen gleichen letztlich einer Anmaßung von Wissen. Sowohl für Privatkunden als auch für institutionelle Investoren sollten die (in der Studie aufgeführten) zugrundeliegenden Berechnungen eine Warnung sein. Wer über einen langfristigen Anlagehorizont verfügt, sollte auch langfristig anlegen, ohne sich immer wieder zu sehr vom Weltgeschehen ins Bockshorn jagen zu lassen. Stetigkeit ist der beste Garant für langfristigen Erfolg.

Ich erinnere wieder einmal an meine „Bisschen-Taktik“. Sie betrifft beide Seiten, also Käufe und Verkäufe. Selbst ganz vorsichtige Anleger brauchen sich in nach ihrem Eindruck unsicheren Zeiten nicht vom Markt zu verabschieden, um von der Tribüne zuzuschauen. Einen (kleinen) Teil sollte man selbst dann behalten. Wer andererseits in einer wackligen Aufwärtsbewegung der Börse keinen Mut zum Mitmachen verspürt, kann wenigstens mit einem kleinen Teil des verfügbaren Kapitals einsteigen – Motto: Ein bisschen ist besser als nichts.