Europas Aktien kommen noch ins Tal der Tränen

 07.04.22

Welche Aktien werden von den Strategen bevorzugt und vor welchen wird eher gewarnt? Mein heutiger Zwischenruf ist eine Fortsetzungsgeschichte, denn es bestätigt sich, dass die Propheten bei aller Unsicherheit wieder mutiger werden. Im Folgenden greife ich Analysen und Ausblicke auf, die weitgehend meinem aktuellen Bauchgefühl entsprechen.

Die europäischen Börsen gehören nicht zu den Favoriten der Profis, denn der Krieg in der Ukraine ist nicht nur räumlich nah, sondern auch ein „stagflationärer Schock“ für die Märkte. Deshalb erwarten die Volkswirte von Metzler Asset Management, dass hohe Inflation und steigende Zinsen zu weiter sinkenden Kursen führen können. Die Aktienmärkte mussten schon im ersten Quartal Kursverluste hinnehmen. Der MSCI Europa verlor 5,2 Prozent und der MSCI Welt 4,5 Prozent. Der MSCI Schwellenländerindex verlor sogar 6,1 Prozent. Überraschenderweise erholten sich die Aktienmärkte schnell von den Kursstürzen zu Beginn des Ukraine-Krieges. Die hohen Inflationsdaten und die Perspektive auf merkliche Leitzinserhöhungen der Zentralbanken sorgten dann jedoch dafür, dass die Aktienmärkte das Quartal im Minus beendeten.

Die Korrektur an den Aktienmärkten ist wahrscheinlich noch nicht vorüber. Historisch haben hohe Inflationsraten und steigende Zinsen tendenziell für fallende Bewertungen in puncto Kurs/Gewinn-Verhältnis an den Aktienmärkten gesorgt. Die US-Notenbank dürfte schon im Mai beginnen, die Anleihen auf ihrer Bilanz zu verkaufen. Damit wird sie dem Aktienmarkt Liquidität entziehen. Zu einem weiteren Belastungsfaktor könnten die steigenden Rohstoff- und Arbeitskosten werden. So dürften nicht alle Unternehmen in der Lage sein, die höheren Kosten auf ihre Preise abzuwälzen. In der nächsten Berichtssaison könnte daher das Thema „Margendruck“ verstärkt von den Unternehmen thematisiert werden. Vor den Aktienmärkten könnte in den kommenden Monaten also noch das Tal der Tränen liegen, bevor wieder gute Chancen auf Kursgewinne aufgrund einer dann niedrigen Bewertung bestehen.

Gute Chancen könnten japanische Aktien bieten, die zuletzt ein stiefmütterliches Dasein fristeten. Sie zeichnen sich nämlich durch gute Fundamentaldaten aus. Hinzu kommt eine schon jetzt niedrige Bewertung, solide Gewinnwachstumsperspektiven und eine anhaltend lockere Geldpolitik. Die Inflation in Japan lag im Februar bei nur 0,9 Prozent.

Ähnliches kann man bei Goldman Sachs Asset Management lesen: Die europäischen Märkte werden voraussichtlich unter Handelsunterbrechungen, angespannteren Finanzierungsbedingungen und höheren Rohstoffpreisen leiden (Europa ist zur Deckung von etwa 40 % seines gesamten Energiebedarfs auf Russland angewiesen). Die Auswirkungen des Krieges auf die Inflation und die politische Antwort darauf werden ebenfalls ein wichtiger Faktor dafür sein, ob die Weltwirtschaft in den kommenden Jahren weiter wächst oder in eine Rezession abgleitet. Wie schnell die US-Notenbank beispielsweise die Leitzinsen anhebt, wird

voraussichtlich entscheidend dafür sein, ob die USA in eine Stagflations- oder eine Rezessionsphase kommen. Präzise vorauszusagen, was die Zukunft dieses Mal bringen wird, dürfte jedoch mit ziemlicher Sicherheit genauso schwierig sein wie in vergangenen Krisen. Das Resümee stellt ebenfalls die Weitsicht heraus: Anleger können nichts Besseres tun, als investiert und informiert zu bleiben – um flexibel genug zu sein und handeln zu können, wenn die Lage sich ändert.

Es gibt also keine grundsätzliche Warnung vor Aktieninvestments, sondern vor allem zeitbezogene Skepsis. Das sehe ebenso und teile mehr denn je die Empfehlung, sich ergänzend zu Aktien in Edelmetallen zu engagieren. Gold und Silber könnten kurz vor einem Wendepunkt stehen, glauben die Experten von Jupiter Asset Management. Seit 1971 hat sich der Goldpreis inflationsbereinigt viermal in der Nähe seines aktuellen Niveaus (in US-Dollar) befunden. Zuletzt lag der nominale Preis vor zwei Jahren bei fast 2.100 Dollar je Unze, und aktuell knapp unter 2.000 Dollar. Jupiter vertritt die Meinung, dass der Goldpreis vor einem Wendepunkt steht und es wahrscheinlich eine Trendänderung geben wird, die an Dynamik gewinnen sollte. Warum gerade jetzt? Weil sich der Goldpreis in die entgegengesetzte Richtung zu den realen Zinssätzen bewegt, also dem Zinssatz, den eine Anleihe nach Abzug der Inflation zahlt. Die Realzinsen sind derzeit negativ, weil die Inflation hoch und die Zinsen niedrig sind. Das bedeutet, dass den meisten Inhabern von US-Staatsanleihen ein negativer Realzins gezahlt wird.