Die Börse hört das Säbelrasseln noch nicht
23.02.23
Haben Sie in den vergangenen Tagen die Worte der Großkopferten registriert, geschätzte Anleger? Nein, nicht die karnevalistischen Büttenreden, sondern das hochpolitische Toben. Während man CSU-Söder nicht unbedingt ernst nehmen muss (aber nehmen kann), kann man Putin nicht ernst genug nehmen – erst recht an der Seite hochrangiger Gesprächspartner aus China. Nach einem Jahr Krieg durch die russische Aggression macht mir das Ost-West-Säbelrasseln zunehmend Sorgen. Die Lieferung von Kampfjets steht inzwischen auf der Agenda militärischer Eskalation. Und atomare Gefahren werden mit drohendem Unterton zumindest erwähnt. Von solchem Säbelrasseln bleibt die sonst so sensible Börse bislang unbeeindruckt. Die Aktienkurse wackeln weiter vor sich hin, ohne in schwächeren Momenten tief in die Knie zu gehen.
Nach wie vor stehen die monetären und Wirtschaftsentwicklungen für Bullen und Bären im Vordergrund. Der mit Spannung erwartete Geschäftsklimaindex des Ifo-Institutes brachte gestern keine Überraschung, sondern lag auf der Linie des Vortags veröffentlichen ZEW-Indikators. Sein vierter Anstieg in Folge deutet auf eine konjunkturelle Erholung hin. Mit den aktuellen Geschäften waren die Unternehmen zwar weniger zufrieden als im Januar, die Erwartungen mit Blick auf die nächsten sechs Monate legten hingegen zu. Unterdessen wurde die in einer Erstschätzung für Deutschland gemeldete Inflationsrate in Höhe von 8,7 Prozent für den Januar bestätigt. Besorgniserregender als die Gesamtrate dürfte aus Sicht der Europäischen Zentralbank (EZB) die Beschleunigung der Kerninflation von 5,2 auf 5,6 Prozent sein, schreiben die Anlagestrategen der Deutschen Bank. Dieser Schub kommt zunehmend von den Dienstleistungspreisen (plus 4,5 Prozent), wobei der Anstieg der Mieten um 2 Prozent den Durchschnitt noch etwas dämpft. Für viele Dienstleistungen sind Löhne die wichtigste Kostenkomponente. Die jüngsten Lohnerhöhungen lösen also erste Zweitrundeneffekte aus. Die Bundesbank schrieb in ihrem Monatsbericht, diese Effekte würden dazu beitragen, dass die Inflationsrate für längere Zeit über dem mittelfristigen Ziel von 2 Prozent für den Euroraum bleiben werde. Da diese Zweitrundeneffekte auch in anderen Ländern zu beobachten sind, könnte die EZB die Leitzinsen stärker als erwartet anheben und sie länger auf hohem Niveau belassen.
Wir werden auch in den kommenden Monaten Gründe genug haben, um über Konjunktur, Inflation und Zinsen zu diskutieren. Aber hören die Börsianer das Ost-West-Säbelrasseln nicht? Das kann sich über Nacht ändern. Vielleicht sind die Analysten und Asset Manager im Durchschnitt zu jung, um politische Gefahren frühzeitig zu erkennen. Sie, liebe Leser, sollten zumindest wachsam und vorsichtig bleiben!